Last Lecture - die Lehren meines Lebens
unsere acht Ehejahre gegen nichts auf der Welt eintauschen.
Ich weiß, dass ich bisher ziemlich gut mit meiner Diagnose umgegangen bin. Das gilt auch für Jai. Wie sagt sie doch immer? »Niemand muss meinetwegen weinen.« Und das meint sie so. Aber wir wollen auch ehrlich sein. Obwohl uns die Therapie ungemein geholfen hat, hatten wir auch harte Zeiten. Wir weinten gemeinsam im Bett, schliefen erschöpft ein, wachten wieder auf und weinten weiter. Zum Teil haben wir es bis hierher geschafft, weil wir uns auf die unmittelbar bevorstehenden Aufgaben konzentrieren. Wir dürfen einfach nicht zusammenbrechen, deshalb müssen wir darauf achten, etwas Schlaf zu bekommen, denn wenigstens einer von uns muss jeden Morgen aufstehen und den Kindern Frühstück machen. Und dieser eine, das gebe ich hiermit zu Protokoll, ist fast immer Jai.
Kürzlich feierte ich meinen siebenundvierzigsten Geburtstag, was Jai zu einem inneren Kampf mit der Frage zwang: »Was schenkst du dem Mann, den du liebst, zu seinem letzten Geburtstag?« Sie entschied sich für eine Uhr und einen Fernseher mit Großbildschirm. Ich bin zwar kein großer TV-Fan - Fernsehen ist die größte Zeitverschwendung der Menschheit -, aber es war das absolut beste Geschenk, denn am Ende werde ich viel Zeit im Bett verbringen, und der Fernseher wird eine meiner letzten Verbindungen zur Außenwelt sein.
Es gibt Tage, da sagt Jai irgendwas zu mir, auf das ich wenig antworten kann. Beispielsweise so etwas wie: »Ich kann mir einfach nicht vorstellen, rüberzurücken im Bett, und du bist nicht da.« Oder: »Ich kann mir nicht vorstellen, mit den Kindern in die Ferien zu fahren, und du bist nicht dabei.« Oder: »Randy, du bist immer der Planer. Wer wird die Pläne machen?«
Da mache ich mir keine Sorgen. Jai wird prima Pläne machen.
Ich hatte wirklich keine Ahnung, was ich tun würde, nachdem das Publikum Jai ein Geburtstagsständchen gebracht hatte. Doch als ich sie zu mir winkte und sie mir entgegenkam, überwältigte mich einfach ein natürlicher Impuls - und sie auch, nehme ich mal an. Jedenfalls nahmen wir uns in die Arme und küssten uns, zuerst auf die Lippen, dann küsste ich ihre Wangen. Die Menge applaudierte immer noch. Wir hörten sie, aber es schien uns, als wäre sie meilenweit weg.
Als wir einander in den Armen lagen, flüsterte Jai etwas in mein Ohr.
»Bitte stirb nicht.«
Das klingt wie Hollywood. Aber genau das sagte sie. Ich drückte sie bloß noch fester an mich.
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Die Träume werden euch zufliegen
Tagelang hatte ich mir Sorgen gemacht, dass ich meine Last Lecture nicht zu Ende bringen könnte, ohne dass es mir die Kehle zuschnürte. Deshalb entwarf ich einen Notfallplan. Ich wollte die letzten Sätze der Rede auf vier Fotos aufbauen. Wenn ich nicht in der Lage wäre, die passenden Worte herauszubringen, wollte ich einfach still ein Bild nach dem anderen auf den Flatscreen klicken und am Ende nur sagen: »Danke, dass ihr heute gekommen seid.«
Der Vortrag hatte gerade einmal etwas über eine Stunde gedauert. Die Nebeneffekte der Chemotherapie, das lange Stehen und meine Gefühle sorgten dafür, dass ich mich wirklich ausgelaugt fühlte.
Gleichzeitig empfand ich eine Art von erfülltem Frieden. Der Kreis meines Lebens hatte sich geschlossen. Die erste Liste mit Kindheitsträumen hatte ich geschrieben, als ich acht Jahre alt gewesen war. Nun, achtunddreißig Jahre später, hatte mir genau diese Liste geholfen, das zu sagen, was ich sagen musste, um es zu Ende führen zu können.
Viele Krebspatienten sagen, dass sie durch ihre Krankheit das Leben auf neue und tiefer gehende Weise wertschätzten. Manche sagen sogar, dass sie für ihre Krankheit dankbar seien. Ich empfinde keine solche Dankbarkeit für meinen Krebs, aber gewiss dafür, dass ich rechtzeitig genug
von meinem bevorstehenden Tod erfuhr. Denn abgesehen davon, dass es mir dadurch möglich wurde, meine Familie auf ihre Zukunft vorzubereiten, gab es mir die Chance, eine Last Lecture an der Carnegie Mellon University zu halten. Gewissermaßen wurde es mir auf diese Weise möglich, »aus eigener Kraft zu gehen«.
Außerdem diente mir diese kleine Liste meiner Kindheitsträume noch zu vielen anderen Zwecken. Wer weiß, ob ich ohne sie überhaupt daran gedacht hätte, all den Menschen zu danken, denen wirklich mein Dank gebührt. Und schließlich ermöglichte sie es mir auch, mich von denen zu verabschieden, die mir so viel bedeutet haben.
Und noch etwas. Als kompletter Hightech-Freak
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