Last Lecture - die Lehren meines Lebens
das kostet nichts. Oder was noch besser ist: Geh in die Bibliothek und hol dir ein Buch.«
Als ich zwei und meine Schwester vier Jahre alt war, ging meine Mutter mit uns in den Zirkus. Als ich neun war, wollte ich wieder hin. »Da brauchst du nicht hin«, sagte meine Mutter, »du warst schon im Zirkus.«
Nach heutigen Normen mag das bedrückend klingen, aber in Wahrheit hatte ich eine märchenhafte Kindheit. Mir wurde unglaublich auf die Sprünge geholfen, weil ich eine Mutter und einen Vater hatte, die so vieles richtig machten.
Wir kauften nicht viel. Aber es gab nichts, worüber wir nicht nachdachten. Mein Vater besaß diese ansteckende Wissbegierde. Er wollte einfach alles über das aktuelle Zeitgeschehen, über Geschichte und über unser Leben wissen. Als Kind war ich überzeugt, dass es nur zwei Arten von Familien gäbe, nämlich erstens solche, die ein Lexikon brauchten, um ein familiäres Abendessen zu überstehen, und zweitens solche, die keines brauchten.
Wir gehörten zur Kategorie eins. Beinahe jeder Abend endete damit, dass wir etwas im Lexikon nachschlugen, das nur sechs Schritte vom Esstisch entfernt im Regal stand. »Wenn ihr eine Frage habt«, pflegten meine Eltern zu sagen, »dann findet die Antwort.«
In unserem Haus hatte niemand Lust, wie ein Tropf dazusitzen und eine Frage nicht beantworten zu können. Wir
wussten uns zu helfen: Öffne das Lexikon; öffne das Wörterbuch. Öffne deinen Geist.
Mein Vater war auch ein sagenhafter Geschichtenerzähler. Aber er fand, dass keine Geschichte ohne Grund erzählt werden sollte. Er liebte lustige Anekdoten, die mit »Und die Moral von der Geschicht’ ist …« endeten. Er war ein Meister solcher Geschichten, und ich saugte seine Erzähltechniken wie ein Schwamm auf. Als meine Schwester Tammy meine Last Lecture im Internet verfolgte, sah sie, wie sich meine Lippen bewegten, und hörte die Stimme dazu - aber in ihren Ohren war es nicht meine, es war Vaters Stimme. Sie wusste, dass ich gerade mehr als nur ein paar seiner erlesenen Weisheiten von mir gab. Ich bestreite das keine Sekunde, denn sogar ich hatte in einigen Momenten das Gefühl, als würde ich meinen Dad in den Hörsaal herunterreden.
Ich zitiere fast jeden Tag einen Spruch meines Vaters, nicht zuletzt, weil andere Menschen oft ablehnend reagieren, wenn man eigene Weisheiten von sich gibt, und weil es weniger arrogant wirkt oder besser aufgenommen wird, wenn man eine Weisheit aus anderem Mund zitiert. Wer einen Vater wie meinen in der Hinterhand hat, der kann ohnedies nicht anders, als ihn bei jeder erstbesten Gelegenheit zu zitieren.
Mein Dad gab mir viele Ratschläge, die mir helfen sollten, meinen Weg durchs Leben zu finden. Er sagte solche Dinge wie: »Triff niemals eine Entscheidung, bevor du dazu gezwungen bist.« Er lehrte mich auch, immer fair zu bleiben, selbst wenn ich einmal in der Position des Stärkeren bin, egal, ob bei der Arbeit oder in Beziehungen. »Nur weil du am Steuer sitzt«, sagte er, »heißt das noch lange nicht, dass du andere überfahren darfst.«
Neuerdings stelle ich fest, dass ich meinen Vater sogar dann zitiere, wenn er das Betreffende gar nicht gesagt hatte. Egal, um was es geht, es könnte immer aus seinem Mund stammen. Er schien einfach alles zu wissen.
Auch meine Mutter weiß viel. Seit ich denken kann, betrachtete sie es als ihre Aufgabe, meinen Übermut in Schach zu halten. Heute bin ich ihr dankbar dafür. Noch immer antwortet sie auf die Frage, wie ich als Kind war: »Aufgeweckt, aber ziemlich unvorsichtig.« Heute preisen alle Eltern ihre Kinder als Genies, und da steht meine Mutter und findet, dass »aufgeweckt« als Lob genügen muss.
Als ich mich auf meine Doktorarbeit vorbereitete, musste ich einen Test machen, der sich »The Theory Qualifyer« nannte und von dem ich heute sagen kann, dass er das absolut Schlimmste in meinem Leben nach der Chemotherapie war. Als ich meiner Mutter vorjammerte, wie ätzend und schwer dieser Test sei, lehnte sie sich zu mir herüber, tätschelte meinen Arm und sagte: »Wir wissen genau, wie du dich fühlst, Honey. Aber erinnere dich, als dein Vater in deinem Alter war, kämpfte er gegen die Deutschen.«
Seit ich meinen PhD in der Tasche habe, pflegt mich meine Mutter mit wahrem Genuss mit den Worten vorzustellen: »Das ist mein Sohn. Er ist ein Doktor, aber nicht so einer, der den Menschen hilft.«
Meine Eltern wussten, was dazugehört, wenn man Menschen wirklich helfen will. Sie fanden immer irgendwelche
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