Laubmann 1 - Der zerrissene Rosenkranz
bisweilen Differenzen zwischen der höheren Kirchenverwaltung und den Herren Professoren, was zum Beispiel das Verkünden strittiger Lehrinhalte in den Vorlesungen und Seminaren anging, die nicht der Meinung des Papstes entsprachen. Auch bei solchen Streitigkeiten wurde der Prälat Glöcklein eingeschaltet. Zwangsläufig unterhielt er Kontakte zum Ministerium. Glöcklein hätte zudem von sich aus die Initiative ergreifen und seinen Bischof auf «falsche Lehren» aufmerksam machen, ja sogar die Professoren gleichsam inquisitorisch kontrollieren können. Aber ein offenes Vorgehen war insofern vom Charakter her nicht Glöckleins Sache, als er Konflikte mied. Der Prälat – und auf diesen Ehrentitel legte er wert – schützte seinen Papst, seinen Bischof und seine Kirche, und damit sich selbst, denn die Kirche bot ihm Halt und Gewißheit. Er glaubte beinahe an die Kirche wie er an Gott glaubte, den einen, den erlösenden Gott. Er empfand sich als Diener dieses Gottes und der Kirche, demütig und aufrecht zugleich. Kein Falsch sollte an ihm sein. Er stand treu zur verkündeten Lehre. Darauf konnten sich seine Gegner verlassen.
Seine Priesterweihe lag über dreißig Jahre zurück, aber er fühlte sich mit 60 noch kraftvoll und tatendurstig genug. Aus wohlhabenden ländlichen Verhältnissen stammend, war er schon als Kind nie mager gewesen. Vom Pfarrer des Dorfes nach dem Abitur ins bischöfliche Priesterseminar empfohlen, schmeckte ihm auch dort das von Ordensschwestern zubereitete Essen immerzu wunderbar. Und diese Freude nahm mit dem Alter nicht ab. Er wirkte erschreckend gesund, obgleich sich sein ergrautes Haupthaar nur mehr in Andeutungen verlor.
Nach einigen Telefonaten wurde also dem Kommissar nahegelegt, sich mit seinen Fragen, die in den Bereich der katholischen Fakultät und der Kirche hineinzureichen schienen, an den Herrn Prälaten Albert Glöcklein zu wen den. Bereits am Tor des alten Palais – unweit des erzbischöflichen Amtssitzes und der hohen mittelalterlichen Kathedrale, die die Stadt überragte – verstärkte sich das Gefühl Glasers, daß er diese Strukturen auch am heutigen Tag nicht werde durchdringen können.
Während er sich fragte, woher dieses Gefühl wohl kommen mochte, schaute er sich um: Das Palais entfaltete mit seiner reichen Fassadengliederung zu jeder Tages- und Jahreszeit seine ganze barocke Pracht. Der hellbraune, unverputzte Sandstein schien an sonnigen Tagen zu leuchten. Der Mittelteil der Fassade mit dem ebenerdigen Eingangsportal, das breit genug für Pferdekutschen war, trat aus den insgesamt sechs vertikalen Fensterachsen, drei zu jeder Seite, gut einen Meter hervor und war zusätzlich von zwei vorgestellten freistehenden Säulen flankiert. Diese trugen einen mit der Wand verbundenen angedeuteten Bogen, der einen allegorischen Figurenschmuck aufwies – Liebe und Treue als liegende Frauengestalten. Unter den Fenstern, abwechselnd von runden und dreieckigen Bögen überdacht, waren rechteckige Brüstungsfelder angefügt, die mit Halbkreisen eingekerbt waren.
Gleichsam die Krönung und das Zentrum der Fassade bildete eine Immaculata über dem Portalbogen, die die allegorischen Figuren überragte und den Kopf der teuflischen Schlange auf der Weltkugel zertrat.
In das ehrwürdige Gebäude war eine moderne Sprech- und Videoanlage eingebaut worden. Nachdem Glaser geläutet und seinen Namen angegeben hatte, bat ihn eine Frauenstimme einzutreten. Gleichzeitig öffnete sich das Tor mit einem kaum hörbaren Summton. Ein Schild mit der Aufschrift «Sekretariat» wies nach oben.
Das Treppenhaus überwältigte jeden, der es betrat, immer wieder aufs neue. Alle Wand- und Deckenflächen waren weiß und mit weiß stuckiertem Bandelwerk überzogen. In drei Kehren wanden sich die dunkelgrauen Steinstufen hinauf, zunächst ins erste Geschoß, um nach einem größeren Absatz genauso ins zweite Stockwerk weiterzustreben. Mehrfach tauchten Vogelmotive – Adler und kleinere Vögel – innerhalb der Stuckmuster auf, die vielleicht auf den Namen des Künstlers hinweisen sollten, nämlich den Hofstuckator Johann Jakob Vogel. Die Geländer, in üppigen Pflanzenformen prachtvoll geschnitzt, waren aus dunkelbraunem Holz, so daß sie zu den weißen stuckbelebten Wandflächen in einen starken Gegensatz traten. Vom Treppenhaus aus gelangte der Kommissar durch eine verzierte Flügeltür in einen sich nach links und rechts erstreckenden großzügig angelegten Flur, dessen Dielenboden leicht abgenutzt
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