Laubmann 1 - Der zerrissene Rosenkranz
ärgerlich, aber eben auch ein kirchenrechtlicher Vorgang.»
«Ah ja, das Kirchenrecht», murmelte der Kommissar, ohne eine nähere Vorstellung davon zu haben.
«Und wenn die Kenntnis über ein solches Verhältnis an die Öffentlichkeit gerät und dadurch untragbare Konflikte entstehen, dann muß die Diözese handeln. Meistens wird der Priester versetzt, oder er kann sogar sein Hirtenamt verlieren. Seine Weihe ist freilich nicht rücknehmbar.» «Nun, dann sehe ich vorerst keine größeren Probleme zwischen uns; denn Herr Professor Konrad hat seine Beziehung ja, wie es scheint, sehr gut geheimgehalten und folglich keine Konflikte der Kirche mit der Öffentlichkeit heraufbeschworen. Wenn Sie mir nun zusichern können, daß die Kirche in dieser Sache nicht schon von sich aus eine Initiative ergriffen hat …» «Was verstehen Sie darunter?»
«Daß Sie mit Professor Konrad etwa eine Unterredung geführt haben oder bereits eine Versetzung in Erwägung ziehen.»
«Das kann ich Ihnen auf jeden Fall zusichern, daß bis dato nichts Derartiges geschehen ist.» Prälat Albert Glöcklein sah keinen Grund, das Dossier, welches er über Erich Konrad angelegt hatte, eine erweiterte Personalakte, an dieser Stelle zu erwähnen.
«Dann habe ich vorerst keine Fragen mehr.» Glaser machte eine kleine Pause, bevor er sich verabschiedete. Auch diesen kleinen Trick hatte er sich im Laufe der Jahre angewöhnt. Wenn er so tat, als müßte er noch nachdenken, danach aber nichts mehr sagte, löste das bei dem anderen oft das Gefühl aus, als stehe noch etwas aus, was später vielleicht nachgefragt werde, ja als sei die entscheidende Frage noch gar nicht gestellt worden. Der Prälat reagierte auf den Glaserschen Leerlauf auf seine Weise, indem er sich räusperte und die rechte Augenbraue hochzog.
«Ich bedanke mich, Herr Prälat, daß Sie mir Ihre Zeit zur Verfügung gestellt haben.»
«Aber bitte, und … wenn es noch etwas gibt, wenn Sie noch Angaben benötigen sollten, wenden Sie sich ruhig an mich. Sagen Sie nur immer, was Sie auf dem Herzen haben!» Dabei waren sie schon aufgestanden und bei der hoch aufragenden Zimmertür angelangt.
Auf die Straße zurückgekehrt, fragte sich der Kommissar, ob der Prälat nicht doch gewußt hatte, daß er wegen Konrad zu ihm kommen würde, selbst wenn Glöcklein so getan hatte, als wäre der ganze Vorgang neu für ihn. Der Prälat war Glaser nicht geheuer. Glöcklein schien die Institution, für die er arbeitete, geradezu zu verherrlichen, ja gleichsam anzubeten. Darin konnte Glaser ihm jedenfalls nicht folgen. Bereits im Auto sitzend, drehte er sich ein letztes Mal um und ließ seinen Blick über den allegorischen Figurenschmuck des Portals schweifen. Dann schlug er die Autotür zu.
V
In der romanischen Krypta des Doms brannte ein warmes Licht, das hauptsächlich vom Altarraum ausging und von Kerzen herrührte; kleine auf dem steinernen Altar und große, die zu beiden Seiten aus kunstvollen Halterungen ragten. Draußen war es wolkenverhangen, es regnete leicht. Trotz der Kühle, die zu jeder Jahreszeit aus den Wänden und dem Steinboden kroch, vermittelte der in die Tiefe, die «heilige Tiefe», hineingebaute Kirchenraum eine Art Geborgenheit, die das schützende Verborgensein der frühen Christen in den römischen Katakomben erahnen ließ. Die gedämpfte elektrische Beleuchtung blieb auf das Nötigste beschränkt.
Die wenigen Gottesdienstbesucher, meist Studenten, hatten ihre Mäntel anbehalten, und sie trugen bereits Winterschuhe. Die Heizung unter den Kirchenbänken war zu schwach. Die Messe begann wie immer um 8 Uhr 45. Professor Konrad war beauftragt, einmal im Monat an einem Werktag einen Universitätsgottesdienst zu zelebrieren. Der Tag wechselte von Semester zu Semester. Die Teilnahme an der Meßfeier war nicht nur für katholische Studenten möglich, sondern ebenso für andere Besucher, etwa für Bedienstete des Ordinariats, und sogar für evangelische Studenten, obwohl letztere nicht allein von Prälat Glöcklein ungern hierbei gesehen wurden. Die evangelisch-lutherische Kirche bot schließlich eigene Gottesdienste an, und wer bitte sollte kontrollieren, daß nicht ein evangelischer Student an der katholischen Kommunion teilnahm, obwohl dies nur in äußersten Ausnahmefällen gestattet war.
Der Zelebrant, Erich Konrad, bemerkte an diesem Tag etwas Sentimental-Weihevolles in seinen Handlungen. ‹Wie bei einer Totenmesse›, fiel ihm auf. Kälte beschlich ihn, aber nicht bloß die
Weitere Kostenlose Bücher