Laubmann 1 - Der zerrissene Rosenkranz
war. Glaser hielt sich rechts, indem er erneut einem Hinweisschild folgte, um alsbald auf eine kaum verzierte geöffnete Tür zu treffen. Dahinter erwartete ihn bereits die Sekretärin des Prälaten, eine streng wirkende Ordensschwester in schwarzer Tracht. Langsam, sorgfältig und still zeigte sie auf einen Warteplatz im Vorzimmer des Prälaten-Büros. Dietmar Glaser nahm dort Platz.
In dem dürftig ausgestalteten hohen Raum erschienen ihm das Kreuz ohne Corpus und eine schlichte Muttergottesstatue weniger heiligend als abweisend. Alle Einrichtungsgegenstände waren betont schmuck- und zeitlos. Der kantige Stuhl der Schwester Sekretärin, ihr Schreibtisch in einer Ecke des Raumes und die beiden mit Glastüren versehenen Aktenschränke waren von so fahlem Braun, daß sie beinahe farblos aussahen. Die Wände waren nur weiß und matt; der rückwärtige Ausblick über einen engen Innenhof hinweg auf einen Seitentrakt war nicht gerade als freundlich-hell zu bezeichnen. Der Stuck, sofern noch vorhanden, blieb unter einer abgehängten Holzdecke mit Neonröhren verborgen.
Glaser mußte kurz eingenickt sein, denn plötzlich stand der Prälat vor ihm. Er schaute wartend, von oben herab, auf Glaser, während der vorherige Gast des Prälaten das Vorzimmer gerade verließ. ‹Ein typischer Schwarzrock ›, dachte der Kommissar, ihm nachblickend, und zu allem Überfluß sogar mit pechschwarzem Haar und schwarz umrandeter Brille.
«Grüß Gott, entschuldigen Sie meine Schläfrigkeit, ich bin seit letzter Nacht durchgehend im Dienst», stammelte er. «Aber freilich, lieber Herr Kommissar, das kann ich sehr gut verstehen!» Die gesamte sündenvergebende Autorität der Kirche offenbarte sich in der Antwort des Prälaten. Seine Arme waren ausgebreitet, der eine lag leicht an Glasers Oberarm, der andere wies in das offenstehende Büro.Wenn ihn dort auch nicht gerade das Fegefeuer erwartete, so empfand der Kommissar doch eine Scheu, einzutreten; es ließ sich aber nicht vermeiden.
Welch ein Gegensatz, welch eine Steigerung und, in Anbetracht des Vorzimmers, welch eine Inszenierung kirchlicher Herrschaftlichkeit! Über die barocken grünen Stofftapeten, mit denen die Wände bespannt waren, hatte man großformatige Heiligenbilder in wertvollen vergoldeten Rahmen gehängt. Dem Schreibtisch des Prälaten gegenüber war eine edle Intarsien-Kommode zu bewundern, auf die eine Meißner Porzellanvase gestellt war. Linker Hand befand sich zwischen zwei Stühlen, in deren Bezügen die Farbe der Tapeten wiederholt wurde, ein feiner Rokokotisch auf zarten, geschwungenen Beinen, der allerdings eine so schwere Marmorplatte und eine Biedermeieruhr darauf trug, als müsse er unter dem Gewicht des Marmors und der Uhr zusammenbrechen. Rechter Hand waren in regelmäßigen Abständen drei Fenster angeordnet, die zum Innenhof gingen und von bodenlangen grünlichen Vorhängen eingerahmt wurden.
Alsbald sah sich Kommissar Glaser auf dem Bittsteller-Platz vor dem Schreibtisch – ebenfalls einem Barockstuhl. Vor Glaser thronte der Amtsinhaber in einem mächtigen, geradezu antiken Sessel mit sehr hoher Lehne, genüßlich zurückgelehnt und durch die runden Gläser der Goldrandbrille blinzelnd. Seine Hände waren vor dem Bauch auf seinem schwarzen Gewand gefaltet.
Hinter dem breiten, näher zur Rückwand gesetzten Eichenschreibtisch – nicht alle Möbelstücke waren stilgleich – prangte ein kleineres biblisches Bild, auf welchem die Vertreibung aus dem Paradiese wiedergegeben war. Ein daneben hängendes schwergewichtiges schwarzes Kruzifix mit elfenbeinfarben lackiertem Corpus beherrschte den Raum. Die schräg davorgestellte barocke Kniebank war an den Auflagen für Arme und Knie gepolstert und mit rotem Samt bezogen. Eine ganz filigrane Kreuzigungsgruppe aus Alabaster stand seitlich auf dem Schreibtisch und verlieh ihm die Aura eines Altars. Über dem Schreibtisch hing ein prächtiger Kronleuchter, aus venezianischem Glas gefertigt. Der Prälat liebte diese katholische Pracht. Hier fühlte er sich in seinem Element. Glaser spürte, wie von ihm so etwas wie klerikale Würde ausströmte.
«Was führt Sie nun zu mir, geehrter Herr Kommissar?» «Ich muß zugeben, daß ich wegen einer unangenehmen Angelegenheit innerhalb der Universität an Sie verwiesen wurde.»
«Sprechen Sie nur, dafür bin ich ja da!»
«Wie Sie wissen, arbeite ich bei der Mordkommission. Ich forsche da in einer Sache, die wir zunächst eher für einen Unfall gehalten haben.
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