Lauf, Jane, Lauf!
sehr wohl. Es tut mir wirklich leid, Mrs. Whittaker, ich weiß, daß Sie auf mich gezählt haben, und es fällt mir schwer, Sie zu enttäuschen.««
»Dann tun Sie es doch nicht. Bitte tun Sie es nicht«, sagte Jane leise und eindringlich.
»Mein Mann und ich haben gestern abend stundenlang darüber gestritten. Er ist nicht bereit, Lisa aussagen zu lassen.«
»Aber mein - Dr. Whittaker hat Ihre Tochter belästigt!«
»Wir haben keine Beweise dafür.«
»Glauben Sie ihr denn nicht, was sie Ihnen erzählt hat?«
Sally Beddoes senkte schuldbewußt den Blick. »Doch, ich
glaube ihr. Aber wer sonst wird ihr glauben? Wer wird einem vierjährigen Kind glauben, das bekanntermaßen vor allen Ärzten Angst hat?«
»Sie vergessen, daß sie nicht allein sein wird. Meine Tochter wird auch aussagen. Das Gericht wird die Beschuldigungen viel ernster nehmen, wenn wir zu zweit sind. Und der Staatsanwalt ist noch dabei, die Unterlagen meines Mannes durchzusehen, um festzustellen, ob er vielleicht noch andere Kinder belästigt haben könnte.« Jane hörte selbst den schrillen Ton der Hoffnungslosigkeit in ihrer Stimme. Sie wußte, daß der Staatsanwalt bisher niemanden gefunden hatte, der bereit war, eine Aussage zu machen.
»Lisa hat schon soviel durchgemacht.« Sally Beddoes kämpfte mit den Tränen. »In den letzten zwei Jahren mußte sie sechsmal operiert werden. Können Sie das nicht verstehen? Es wäre rücksichtslos, wenn wir sie jetzt neuen ärztlichen Untersuchungen aussetzen und sie endlosen Verhören durch den Staatsanwalt und die Anwälte preisgeben würden. Sie hat wahrhaftig schon genug gelitten. Wir können ihr nicht noch mehr zumuten.« Sie sah Jane flehend an. »Bitte versuchen Sie, das zu verstehen.«
»Ich verstehe es ja«, sagte Jane aufrichtig.
»Es tut mir so leid.« Sally Beddoes machte kehrt und lief durch den Vorgarten zum wartenden Wagen.
»O Gott«, stöhnte Jane, als der Wagen abfuhr. Sie hörte Sarah und Daniel hinter sich und ließ sich einfach in Daniels Arme fallen. »Ohne sie habe ich überhaupt keine Chance.«
»Du darfst jetzt nicht aufgeben, Jane«, drängte Sarah. »Du hast die Wahrheit auf deiner Seite.«
»Und die Wahrheit ist, daß ich meine Tochter verlieren werde.««
»Nein, Jane. Das werden wir nicht zulassen.«
»Ach nein? Was willst du denn sagen, wenn Michaels Anwalt dich unter Eid nimmt und nach unserer Ehe fragt? Du wirst ihm
erzählen, daß du immer den Eindruck hattest, wir wären ausgesprochen glücklich miteinander, daß Michael immer liebevoll und aufmerksam war, daß ich dir im Lauf der Jahre mindestens tausendmal erzählt habe, ich hätte das große Los gezogen. Und was willst du sagen, wenn sie dich nach dem Abend fragen, als ihr zum Essen bei uns wart und ich zusammenklappte und ins Bett gebracht werden mußte? Was glaubst du wohl, wie das auf einen Richter wirken wird?«
»Wir werden ihm schon klarmachen, wie es wirklich war«, sagte Daniel, aber es klang nicht sehr überzeugend.
»Glaub ja nicht, daß Michael dich nicht auch einsetzen wird. Er wird alle meine Freunde gegen mich einsetzen.«
»Carole wird aussagen, daß Michael sie belogen hat, als er behauptete, wir hätten ein Verhältnis miteinander gehabt«, erinnerte Daniel sie.
»Hat Michael gelogen, oder hat er nur die Lügen weitergegeben, die ich ihm aufgetischt hatte?« konterte Jane. »Du kannst dich darauf verlassen, er hat sich nach allen Seiten abgesichert.«
»Aber irgend etwas mußt du doch tun können«, meinte Sarah.
»O ja.« Jane machte sich auf den Weg zum rückwärtigen Teil des großen Bungalows, in dem die Schlafzimmer lagen.
»Wohin willst du, Jane? Was hast du vor?«
»Es ist mal wieder Zeit zu verschwinden. Mit Emily.«
»Jane, das kannst du nicht tun!« Daniel lief ihr nach und hielt sie auf, ehe sie ihr Zimmer erreicht hatte. »Michael findet dich bestimmt. Er wird dich aufspüren und zurückbringen lassen, und dann bekommt er garantiert das Sorgerecht.«
»Das Risiko muß ich eingehen.«
»Jane, laß uns das doch erst einmal in Ruhe durchsprechen«, drängte Sarah.
»Du kannst doch nicht dein Leben lang vor ihm davonlaufen, ständig in Angst, daß er dich findet. Was für ein Leben wäre das für Emily«, sagte Daniel beschwörend.
»Was für ein Leben hätte sie, wenn Michael das Sorgerecht zugesprochen wird?«
»Aber wohin würdest du denn gehen?« fragte Sarah. »Wie würdest du leben?«
Jane senkte den Kopf. Ihr fiel keine befriedigende Antwort auf diese Frage
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