Lauf, Jane, Lauf!
eingetroffen ist!« Tom Wadell führte Janes Anwältin ins Zimmer und forderte sie alle mit einer Handbewegung auf, in den vor seinem Schreibtisch gruppierten Sesseln Platz zu nehmen.
Renee Bower, die sich nach einem kurzen New Yorker Gastspiel in Boston niedergelassen hatte, war eine attraktive Frau, die ausgesprochen weich wirkte, jedoch als Anwältin eine Härte zeigen konnte, die bei ihren Gegnern gefürchtet war. Sie begrüßte Jane mit einem kurzen, beruhigenden Nicken, ehe sie es sich in einem der Sessel bequem machte, offensichtlich kaum beeindruckt von der sie umgebenden Opulenz.
»Tut mir leid, daß ich mich verspätet habe. Es hat bei der Staatsanwaltschaft doch länger gedauert, als ich erwartet hatte.«
»Ich finde, wir sollten gleich zur Sache kommen«, sagte Michael,
nachdem Wadell ihn mit der Anwältin bekannt gemacht hatte.
»Wir sind für alle vernünftigen Vorschläge offen«, erklärte Renee Bower.
Tom Wadell räusperte sich. »Mein Mandant legt nicht den geringsten Wert auf eine langwierige und erbitterte gerichtliche Auseinandersetzung. Er hat als verantwortungsbewußter Vater auch nicht den Wunsch, seine Tochter gerade zur jetzigen Zeit, die für sie äußerst schwierig ist, von ihrer Mutter zu trennen. Er ist der Auffassung, daß dem Kind bereits genug Schaden zugefügt worden ist, und möchte keinesfalls, daß sie noch mehr leiden muß. Er ist daher bereit, Mrs. Whittaker das Sorgerecht für Emily zu überlassen.«
Janes Blick flog zu Michael. War es möglich, daß er endlich auf die Stimme des Gewissens hörte und ihnen die Qualen eines Prozesses ersparen wollte?
»Und die Gegenleistung?« fragte Renee Bower.
»Im Gegenzug nimmt Ihre Mandantin alle gegen Dr. Whittaker vorgebrachten Beschuldigungen des sexuellen Kindesmißbrauchs zurück.«
»Meine Mandantin erhält das alleinige Sorgerecht?«
»Dr. Whittaker wird ein großzügige Besuchsrecht eingeräumt.«
»Was heißt das?« unterbrach Jane mißtrauisch.
»Mein Mandant erhält das Recht, seine Tochter jedes zweite Wochenende und jeden Mittwochabend zu sehen. Er wird außerdem jeden Sommer einen Monat und dazu zu Weihnachten und Ostern eine Woche mit dem Kind verbringen. Die restlichen Feier- und Ferientage werden zu gleichen Teilen zwischen den Eltern aufgeteilt.«
»Kommt nicht in Frage«, sagte Jane zornig. »Ich werde niemals zulassen, daß er Emily allein sieht.«
»Erwartest du im Ernst von mir, daß ich einwillige, meine
Tochter in den wenigen Stunden, die mir gegönnt sind, nur im Beisein irgendeiner Sozialarbeiterin zu sehen, die mich ständig mit Argusaugen beobachtet?« fragte Michael.
»Das ist das mindeste, was ich erwarte.«
»Aha. Du bist also bereit, alles zu riskieren? Denn das sage ich dir, Jane, wenn du mein Angebot nicht akzeptierst - und deine Anwältin wird dir sagen, daß es ein verdammt gutes Angebot ist -, werde ich kämpfen. Und wenn ich mit dir fertig bin, kannst du froh sein, wenn du unsere Tochter je wiedersehen wirst.«
Er schwieg, um seine Worte wirken zu lassen.
Jane sah Renee Bower an, doch diese hielt den Blick unverwandt auf Michael gerichtet.
»Bildest du dir wirklich ein, daß auch nur ein Mensch dir deine obszönen Anschuldigungen abnehmen wird?« fuhr Michael fort. Er stand auf und begann, im Zimmer umherzugehen. »Glaubst du, der Staatsanwalt wird dir mehr glauben als mir, wenn er erst von deiner hysterischen Amnesie hört? Glaubst du im Ernst, er wird dann noch Anklage erheben? Und glaubst du, wenn es zum Sorgerechtsprozeß kommen sollte, wird irgendein Richter dem Wort einer Frau Glauben schenken, die abgesehen davon, daß sie zeitweise völlig vergessen hatte, wer sie war, erwiesenermaßen zu Gewalttätigkeit neigt und nicht nur ihren eigenen Ehemann tätlich angegriffen hat, sondern auch völlig fremde Menschen? Glaubst du das wirklich?« Er hielt inne, aber er war offensichtlich noch nicht fertig. »Und hast du eigentlich auch an Emily gedacht?«
»An Emily?«
»Ja, an Emily. Begreifst du nicht, was du ihr antun würdest, wenn du sie zwingst, in einem Prozeß gegen ihren eigenen Vater auszusagen?«
Jane sprang so heftig auf, daß ihr Sessel ins Wanken geriet. Vergeblich versuchte ihre Anwältin ihn festzuhalten.
»Was ich ihr antue?«
»Wenn ich dir schon gleichgültig bin, Jane, wenn es dir schon egal ist, wie sich diese ungeheuerlichen Beschuldigungen auf mein Leben auswirken werden, kannst du dann nicht wenigstens an unsere kleine Tochter denken?«
»Du
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