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Lauf, so schnell du kannst

Lauf, so schnell du kannst

Titel: Lauf, so schnell du kannst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linda Howard
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verschwommenen Bewegung. Sie riss sich das Gewehr von der Schulter und starrte in regungslosem Entsetzen auf den Albtraum, der sich vor ihr abspielte.
    Es geschah wieder, genau wie es in der Nacht des Gewitters geschehen war; die höllischen Bilder stürmten auf ihren Verstand ein und fielen über ihn her, überschwemmten sie mit blinder Panik. Sie dachte, dass sie schrie, aber ihre Kehle wollte nicht, und so blieb der Schrei in ihr gefangen, bahnte sich seinen Weg durch ihr Herz, ihren Magen und ihren Geist. Sie konnte Dare hören – sie dachte, dass sie ihn hören konnte, aber sie war sich nicht sicher, sie konnte keine Worte wahrnehmen, weil sich irgendetwas in ihrem Verstand einfach abgeschaltet hatte.
    Der Bär riss Chad Krugman in Stücke. Die Zeit verlangsamte sich zum Schneckentempo, und der Angriff schien ewig zu dauern, obwohl sie tief im Innern wusste, dass nur Sekunden verstrichen waren, Sekunden, die alles waren, was ein solch mächtiges Raubtier brauchte, um seine Beute zu töten.
    Dann –
Gott!
 – warf der Bär Chads Überreste beiseite und kam den Hügel herab auf sie zu.
    Das Pferd. Der Bär roch das Pferd und vielleicht auch Dares Blut, obwohl sie nicht wusste, wie er noch mehr frisches Blut riechen konnte, wenn seine Schnauze doch schon mit Chads Blut verschmiert war. Sie wusste nicht, wie sie überhaupt denken konnte. Sie wusste nicht, wie sie sich bewegen konnte.
    Doch sie tat es. Jede Bewegung kam ihr so vor, als wäre sie in dem Schlamm gefangen, von dem sie geträumt hatte, dieser blöden, idiotischen Kuchenglasur. Aber sie hob das Gewehr an die Schulter, schaute durch das Zielfernrohr, erfasste ihr Ziel, welches immer größer und größer aufragte, je näher es den Hang heruntergetappt kam. Der Winkel war schlecht, fast genau von vorn; der perfekte Schuss zielte auf Herz und Lungen, aber das Tier hatte den Kopf gesenkt und schwenkte ihn jetzt hin und her. Sie konnte nicht auf einen perfekten Schuss warten. Sie atmete ein, stieß einen Teil des Atems wieder aus und drückte ab.
    Nichts geschah. Der Schlagbolzen klickte, aber nichts geschah. Scheiße! Was hatte sie falsch gemacht? Hatte sie den Verschluss nicht vollständig verriegelt? Schnell betätigte sie den Kammerstängel, warf eine Patrone aus, verriegelte den Verschluss. Der Bär war näher gekommen, noch vierzig Meter entfernt, und gab ein tiefes, grunzendes, bellendes Geräusch von sich. Er machte sich zum Angriff bereit.
    Sie drückte ab.
    Nichts.
    Sie hörte sich fluchen, hörte Dare etwas sagen, und irgendein Instinkt ließ sie hinter dem Felsbrocken hervortreten, um die Aufmerksamkeit des Bären auf sich zu lenken, Gott, alles, um ihn von Dare fernzuhalten …
    »Angie!«
    Sie hörte den Schrei, riss den Kopf gerade rechtzeitig ein Stück herum, um Dares blutüberströmtes Gesicht zu sehen, als er sein eigenes Gewehr mit dem linken Arm packte und ihr zuwarf. Die Waffe schien in Zeitlupe durch die Luft auf sie zuzusegeln; Sonnenlicht blitzte auf dem Lauf und der Linse des leistungsstarken Zielfernrohrs auf.
    Der Bär war dreißig Meter entfernt.
    Sie fing das Gewehr auf, hob es an die Schulter, richtete das Fadenkreuz auf den Kopf des Bären und schoss. Noch ehe der gewaltige Knall des Schusses verhallt war, warf sie die leere Patrone aus und verriegelte erneut den Verschluss.
    Die Kugel traf das Ungeheuer in die Schulter. Es brüllte und drehte sich im Kreis, und dann stürzte es mit einem Mal genau auf sie zu.
    Angie schoss erneut, traf es wieder. »Komm nur, du Mistkerl!«, schrie sie und beantwortete sein Brüllen mit ihrem eigenen Brüllen, denn bei Gott, sie würde nicht fliehen, sie würde nicht zulassen, dass er Dare tötete. Sie repetierte ein letztes Mal. Das war es. Wenn dieser letzte Schuss ihn nicht zur Strecke brachte, dann waren sie beide tot. Ein verwundeter Bär konnte massiven Schaden anrichten. Sie wollte in Panik geraten, vielleicht war sie bereits in Panik und merkte es bloß noch nicht, aber sie hatte nicht den Luxus, Zeit zu haben, um irgendetwas anderes zu tun, als ihren letzten Schuss direkt in sein Gehirn zu platzieren.
    Das gewaltige Tier kam noch immer auf sie zu, von dem schieren Schwung vorwärtsgetrieben, dann knickten seine Vorderbeine ein, und es kam keine drei Meter entfernt schlitternd zum Stehen.
    Sie starrte den Bären an und musste sich von dem unerträglichen Gestank fast übergeben, aber ihre Füße waren wie festgewurzelt, und sie konnte sich nicht dazu bringen, sich zu

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