Lauf, so schnell du kannst
zu reiten. Am Ende gewann er, denn selbst in seinem benommenen Zustand war er zu Fuß immer noch schneller als sie. Er aß zwei Proteinriegel, trank zwei Flaschen Wasser und erklärte, er sei startklar. Sie bezeichnete ihn als zu dickköpfig, um irgendetwas anderes als ein halber Neandertaler zu sein, der eventuell auch einen kleinen Anteil Höhlenbewohner im Blut hatte. Und dann hatte sie sich selbst komplett gedemütigt, indem sie wieder anfing zu weinen und ihm sagte, dass sie ihn liebe.
Er sah nur selbstgefällig aus und sagte: »Ja, ich weiß.«
Sie schafften es gerade noch rechtzeitig zu Ray Lattimore, als das Zwielicht einer völligen Dunkelheit wich. Ray entging nicht viel – er wachte mit Argusaugen nicht nur über seinen eigenen Besitz, sondern auch über den der Leute, die ihre Ausrüstung bei ihm abstellten – und die Verandalichter gingen an, bevor sie die Zufahrt zu seinem Haus zur Hälfte hinauf waren. Ray kam heraus, eine Taschenlampe in der Hand. »Wer ist da?«
»Dare Callahan und Angie Powell«, rief Dare zurück.
»Was zum …?« Der mächtige Strahl der Taschenlampe glitt über sie hinweg. Nach allem, was passiert war, mussten sie ziemlich mitgenommen aussehen. Nachdem der Druck des Verbandes die Blutung an Dares Kopfwunde gestoppt hatte, hatte Angie so viel Blut weggewischt, wie sie konnte, aber er schaute immer noch so aus, als wäre er aus einem Schlachthaus entwischt. Sie war zwar unverletzt, vermutete aber, dass sie aussah wie eine wilde Frau, die noch nie zuvor elektrisches Licht gesehen hatte. »Was zum Teufel ist denn mit euch beiden passiert?«, fragte Ray, als er die Veranda hinabstieg und so schnell auf sie zueilte, wie er nur konnte, was selbst in seinem Alter ziemlich schnell war.
»Kurz gesagt, einer von Angies Kunden hat den anderen ermordet, dann hat der Bär ihn getötet, und Angie hat den Bären getötet«, antwortete Dare mit seiner knarrenden Stimme und reduzierte die Ereignisse damit auf zwanzig Wörter. Sie starrte ihn mit offenem Mund an.
»Ganz zu schweigen davon, dass Dare
angeschossen
wurde!«, blaffte sie. »Aber er ist zu stur, um zu reiten.«
»Angie hat sich den Knöchel verstaucht. Mit ihr im Sattel sind wir schneller vorangekommen als zu Fuß«, erwiderte Dare, und verdammt wollte sie sein, wenn Ray nicht zustimmend nickte. Dare legte ihr die Hände um die Taille und hob sie vom Pferd, obwohl es keinen Grund gab, warum sie nicht aus eigener Kraft absitzen sollte. Er kümmerte sich um sie, und ihre Kehle schnürte sich zu. Sie würde sich wahrscheinlich nie an dieses Gefühl gewöhnen, geschätzt zu werden – aber verdammt wollte sie sein, wenn es sie nicht berührte.
»Ihr zwei kommt erst mal mit rein, damit ich mich um euch kümmern kann«, sagte Ray. »Ich werde ein paar Anrufe machen. Ihr seid einem Menschenfresser begegnet, was? Das wird eine Menge Fragen geben.«
Janetta, Rays Frau, kam auf die Veranda heraus, hörte nur, was Ray sagte, und schnappte schon bei ihrem Anblick nach Luft. »Angie! Dare! Oh mein Gott«, stieß sie hervor und eilte die Stufen herunter. »Ein Bär hat das getan?«
»Nein, der Bär hat uns nicht erwischt«, antwortete Angie. »Ich habe mir nur den Knöchel verstaucht, aber Dare ist angeschossen worden.« Sie warf ihm einen stechenden Blick zu. »Der sture Esel muss versorgt werden«, fügte sie mit grimmigem Triumph hinzu, denn Janettas Ruf als Dragoner war in der ganzen Gegend bekannt. Wenn man keinen Wickel oder keine Schiene wollte, nicht genäht werden oder irgendwelche anderen Heilmittel verabreicht bekommen mochte, dann war es das Beste, sie gar nicht erst über eine Krankheit zu informieren.
Dare warf ihr einen schnellen Blick zu, der Rache verhieß, dann stürzte sich Janetta auch schon auf ihn, und er wurde von der Flut der Befehle, die sie erteilte, mitgerissen. Angie lächelte zufrieden. Irgendwann würde auch sie in den Genuss einer Behandlung nach Art von Janetta kommen, aber im Vergleich zu einer Schusswunde war ein verstauchter Knöchel langweilig.
Danach ging alles sehr schnell. Ray machte seine Anrufe, und bald wimmelte es in seinem Haus von Polizei, Wildtiermanagement-Typen und Sanitätern. Die Sanitäter hatten nicht viel zu tun, da Janetta sie inzwischen ausgiebig gereinigt und verbunden hatte. Angie und Dare wurden beide zur medizinischen Weiterbehandlung nach Butte gebracht. Ihr Knöchel wurde geröntgt, nur um sicherzugehen, dass sie keinen einfachen Bruch hatte, aber Dare musste nicht nur
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