Lauf, wenn du kannst
eine Augenbraue hoch. »Was haben Sie in jener Nacht gesehen? Der Nacht, in der Jimmy starb?« Bobbys Blick huschte zu Maryanne hinüber und richtete sich dann erneut auf ihren Mann. »Ich finde, sie sollte nicht dabei sein, wenn wir darüber reden.«
»Maryanne?«, sagte James leise zu seiner Frau, worauf sie ihn wieder ansah. Noch vor wenigen Sekunden hatte sie geweint. Nun schien sie sich wieder gefasst und neue Kraft gesammelt zu haben. Sie griff nach der Hand ihres Mannes. Dann drehten sich die beiden wie eine vereinte Front zu Bobby um.
»Ich möchte gerne alles wissen«, erwiderte Maryanne mit weichem Südstaatenakzent. »Er ist mein Sohn, und ich war bei seiner Geburt dabei. Ich muss erfahren, wie er gestorben ist.«
Sie war eine ausgezeichnete Schauspielerin, dachte Bobby. Mit drei Sätzen hatte sie es geschafft, ihm das Messer ins Herz zu stoßen.
»Ich erhielt einen Notruf, ein Mann habe sich in seinem Haus verschanzt«, begann er, so ruhig er konnte. »Eine Frau habe telefonisch die Polizei verständigt und gemeldet, ihr Mann habe eine Waffe. Außerdem hätten die Nachbarn von Schüssen berichtet. Als ich auf der Straße Position bezog, entdeckte ich in dem Haus eine männliche Person ...«
»Jimmy«, verbesserte der Richter.
»Eine männliche Person«, beharrte Bobby, »die aufgebracht im Schlafzimmer hin und her lief. Wenig später konnte ich mich vergewissern, dass der Mann mit einer Neun-Millimeter-Pistole bewaffnet war.«
»Geladen?«, hakte James nach.
»Das konnte ich nicht feststellen, doch die zuvor eingegangenen Meldungen, es sei geschossen worden, ließen den Schluss zu, dass es sich so verhielt.«
»Gesichert oder nicht?«
»Das war ebenfalls nicht zu ermitteln. Aber die gemeldeten Schüsse deuteten darauf hin, dass die Waffe nicht gesichert war.«
»Er hätte sie in der Zwischenzeit wieder sichern können.«
»Möglich.«
»Vielleicht hat er die Schüsse niemals abgefeuert. Oder waren Sie etwa persönlich dabei?«
»Nein.«
»Haben Sie mit eigenen Augen gesehen, dass er die Waffe geladen hat?«
»Nein.«
»Ich verstehe«, sagte der Richter, und zum ersten Mal ging Bobby ein Licht auf. Das war nur der Vorgeschmack auf das, was ihm blühte, falls die Sache wirklich vor Gericht kam. Der Richter hatte sich gut darauf vorbereitet, zu beweisen, dass er, Robert G. Dodge, am Donnerstag, dem 11. November 2004, einen Mord begangen hatte, als er das bedauernswerte, ahnungslose Opfer, seinen geliebten Sohn James Gagnon junior, erschoss.
»Was genau haben Sie denn gesehen?«, erkundigte sich der Richter nun.
»Nach einer Weile ...«
»Wie lange hat das gedauert? Eine Minute? Fünf Minuten? Eine halbe Stunde?«
»Nach schätzungsweise sieben Minuten bemerkte ich eine weibliche Person ...«
»Catherine.«
»... und ein Kind, die langsam in Sicht kamen. Die Frau hielt das Kind, einen kleinen Jungen, an sich gedrückt. Dann brach zwischen der weiblichen Person und der männlichen Person«, Bobby betonte das letzte Wort, »ein Streit aus.«
»Worüber?«
»Ich konnte die Szene nicht mithören.«
»Also haben Sie keine Ahnung, worüber die beiden redeten? Vielleicht hat Catherine Jimmy ja bedroht.«
»Womit?«
Der Richter änderte seine Taktik. »Oder sie hat ihn beschimpft.«
Bobby zuckte die Achseln.
»Wusste sie, dass Sie da waren?«, drängte der Richter weiter.
»Keine Ahnung.«
»Scheinwerfer brannten, ein Krankenwagen traf ein, Polizeifahrzeuge kamen an und fuhren ab. Ist es nicht wahrscheinlich, dass ihr dieses Gewimmel aufgefallen ist?«
»Sie befand sich drei Stockwerke hoch über der Straße. Bei meiner Ankunft hatten sie und das Kind offenbar hinter dem Bett gekauert. Unmöglich zu sagen, was sie realistischerweise wissen oder nicht wissen konnte.«
»Aber Sie haben mir doch erklärt, sie hätte selbst die Polizei angerufen.«
»So wurde es mir berichtet.«
»Deshalb hat sie sicher mit einer Reaktion gerechnet.«
»In der Vergangenheit sah die Reaktion stets so aus, dass zwei uniformierte Kollegen an ihre Tür geklopft haben.«
»Darüber bin ich im Bilde, Officer Dodge. Deshalb finde ich eines besonders interessant: Diesmal hat sie eigens betont, dass Jimmy im Besitz einer Waffe ist. Und dadurch wurde die Sache automatisch zu einem Fall für das Sondereinsatzkommando, richtig?«
»Aber er hatte tatsächlich eine Waffe. Das habe ich selbst gesehen.«
»Wirklich? Sind Sie sicher, dass die Waffe echt war? Hätte es nicht auch ein Modell oder eines von Nathans
Weitere Kostenlose Bücher