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Lauf, wenn du kannst

Lauf, wenn du kannst

Titel: Lauf, wenn du kannst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Gardner
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gespenstisch, dass die Gagnons ihrem zweiten Kind denselben Namen gegeben hatten wie dem ersten. Der erste Junge sei Junior genannt worden, der zweite Jimmy, erklärte Harris daraufhin. Aber Bobby schüttelte sich trotzdem bei dieser Vorstellung. Als Bobby die Penthouse-Suite betrat, war sein erster Eindruck dass die Gagnons genau wussten, wie man seine Mitmenschen in Ehrfurchtsstarre versetzte. Die Räumlichkeiten waren mit italienischen Marmorfußböden und teuren Antiquitäten ausgestattet und besaßen gewaltige Fenster, die mit so üppigen Vorhängen drapiert waren, dass die Seidenraupen sicher jede Menge Überstunden gemacht hatten. Jedenfalls bot diese Luxussuite die optimale Kulisse für ihre wohlhabenden Bewohner.
    Maryanne Gagnon war schätzungsweise Mitte Sechzig, durchtrainiert, aber ein wenig rundschultrig, mit festgespraytem platinblondem Haar, das inzwischen eher in Richtung Platin als Blond tendierte. Um den Hals trug sie drei Stränge fingerknöchelgroßer Perlen, und der Diamant an ihrem Finger hatte den Umfang eines Golfhalls. In einen cremefarbenen Hosenanzug gehüllt, saß sie in einem zierlichen französischen Sesselchen und schien mit den Vorhängen hinter sich zu verschmelzen.
    Richter Gagnon hingegen hatte etwas Raumgreifendes an sich. Hochgewachsen ragte er ein Stück hinter der rechten Schulter seiner Frau auf, und sein schwarzer Einreiher hatte vermutlich mehr gekostet, als Bobby im Monat verdiente. Sein Haar war zwar mit den Jahren schiefergrau geworden, doch seine Augen funkelten wach. Außerdem hatte er einen markanten Kiefer und einen harten Zug um den Mund. Man konnte sich gut vorstellen, wie dieser Mann einen Gerichtssaal – ja, sogar ein ganzes Land – beherrschte.
    Bobby fiel es wie Schuppen von den Augen: Der eher willensschwache Jimmy Gagnon war vermutlich mehr nach seiner Mutter als nach seinem Vater geraten.
    »So kräftig sehen Sie gar nicht aus.« Zum allgemeinen Erstaunen ergriff Maryanne Gagnon als Erste das Wort. Dann wandte sie den Kopf, um ihren Mann anzublicken, und Bobby bemerkte, dass die Hände auf ihrem Schoß zitterten. »Dachtest du nicht auch, dass er irgendwie ... größer sein müsste?«, fragte sie den Richter.
    Jimmy tätschelte seiner Frau die Schulter, eine wortlose Geste der Unterstützung, die Bobby mehr verunsicherte als die Kleidung, das Zimmer und die wie inszeniert wirkenden Posen. Er betrachtete den Marmorboden und studierte das Zickzackmuster aus grauen und rosafarbenen Adern.
    »Möchten Sie etwas trinken?«, schlug James vor, ohne sich von der Stelle zu rühren. »Eine Tasse Kaffee?«
    »Nein.«
    »Etwas zu essen?«
    »Ich habe nicht vor, so lange zu bleiben.«
    Offenbar sah James das ein und wies auf ein Sofa. »Bitte nehmen Sie Platz.«
    Eigentlich hatte Bobby auch dazu keine rechte Lust, aber er ging dennoch zu dem cremefarbenen Sitzmöbel hinüber, ließ sich widerstrebend auf der Kante nieder und ballte die Hände auf dem Schoß zu Fäusten. Anders als die Gagnons, die mit makelloser Eleganz gekleidet waren, trug er alte Jeans, einen dunkelblauen Rollkragenpulli und ein ausgewaschenes graues Sweatshirt. Schließlich war er mitten in der Nacht aus dem Bett gekrochen, um zu einem Tatort zu fahren. Ein Besuch bei den trauernden Eltern war nicht eingeplant gewesen, und natürlich hatten die Gagnons das gewusst, als sie Harris geschickt hatten, um ihn abzuholen.
    »Harris sagt, Sie hätten sich mit Catherine getroffen.« Wieder James. Bobby hatte das Gefühl, dass er hier das große Wort führte. Maryanne sah Bobby nicht einmal mehr an. Es dauerte eine Weile, bis Bobby bemerkte, dass die Frau lautlos weinte. Ihr geschickt abgewandtes Gesicht war tränenüberströmt.
    »Officer Dodge?«
    »Ich habe mich mit Catherine getroffen«, hörte Bobby sich antworten. Sein Blick war immer noch auf Maryanne gerichtet. Er zermarterte sich das Hirn nach etwas, was er sagen konnte. Es tut mir leid. Er hat nichts gespürt. Wenigstens haben Sie noch Ihren Enkel ...
    Es war dumm von ihm gewesen, herzukommen. Inzwischen war ihm das klar. James Gagnon wollte ihn aufs Kreuz legen, und er, Bobby, war in die Falle getappt.
    »Kannten Sie meine Schwiegertochter bereits vor der Schießerei?«, hakte James nach.
    Bobby zwang sich, den Mann wieder anzusehen. Offenbar war das die Frage, die zurzeit allen auf den Nägeln brannte. »Nein«, erwiderte er mit Nachdruck.
    »Sind Sie sicher?«
    »Normalerweise merke ich mir die Leute, die ich kennenlerne.«
    James zog nur

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