Lauf, wenn es dunkel wird
bin ich längst weg.«
Aber Roy hörte Griffin nicht mehr zu. Er hielt eine Hand hoch, seine Augen wurden zu Schlitzen, während er auf das Radio horchte.
»Jetzt gleich in den Mittagsnachrichten: Die Polizei ermittelt in der dreisten Entführung der sechzehnjährigen Tochter des Nike-Präsidenten. Sie wurde heute Morgen um zehn Uhr im Woodlands Experience Einkaufszentrum entführt.«
Nike-Präsident?, dachte Griffin. Nike hatte als Laufschuhhersteller angefangen, produzierte aber inzwischen auch Kleider und Schuhe für alle möglichen Sportarten, oder für Leute, denen einfach die Klamotten gefielen.
Roy stellte das Radio lauter. Schweigend hörten sie zwei Werbespots, einen für eine Anwaltskanzlei, den anderen für Burgerville.
Dann war die Sprecherin wieder dran. »Nach Angaben der Polizei wurde die sechzehnjährige Cheyenne Wilder, Tochter von Nick Wilder, dem Nike-Präsidenten, heute Morgen kurz nach zehn Uhr im Woodlands Experience Einkaufszentrum entführt«, sagte sie atemlos. »Ihr Vater hat vor wenigen Minuten mit der Presse gesprochen.«
Eine Männerstimme war zu hören. Sie klang angespannt, aber geschäftsmäßig. »Meine Tochter ist blind. Bei einem Unfall vor drei Jahren hat sie nicht nur ihr Augenlicht, sondern auch ihre Mutter verloren. Cheyenne ist außerdem sehr krank. Genau genommen kam sie gerade aus der Arztpraxis, als sie entführt wurde. Wenn sie nicht sofort behandelt wird, könnte sie sterben.«
Die Sprecherin meldete sich zurück. »Die Polizei sagt, dass Cheyenne und ihre Stiefmutter an der Apotheke hielten, um das Rezept einzulösen. Danielle Wilder, die Stiefmutter, ging alleine hinein, zu diesem Zeitpunkt wurde das Mädchen entführt. Sie ist etwa 1,60 Meter groß, 53 Kilogramm schwer, hat braune Augen und langes dunkles, gelocktes Haar. Als sie zuletzt gesehen wurde, trug sie einen schwarzen Trainingsanzug und einen silbernen Daunenmantel. Das Auto ist ein dunkelgrüner Geländewagen Cadillac Escalade mit dem Nummernschild 396CVS. Es wurde berichtet, dass das Auto mit hoher Geschwindigkeit den Parkplatz verlassen hat. Leider konnte keiner der Augenzeugen genauere Angaben zum Fahrer des Wagens machen. Die Fahndung wurde ausgelöst und alle Medien benachrichtigt. Die Polizei bittet um ihre Mithilfe. Wer das Fahrzeug gesehen hat, melde sich bitte umgehend unter 9-1-1.« Die Sprecherin holte Luft. »Und nun zu den anderen Nachrichten ...«
Roy stellte das Radio aus.
Griffin machte sich auf einen Wutanfall gefasst. Das Auto war nicht einfach nur heiße Ware, es brannte. Und das Mädchen wurde zu einem immer größeren Problem.
Aber Roy sah bloß nachdenklich aus. Er drehte sich um, spuckte Tabaksaft aus und wischte sich mit der Hand über den Mund.
»Präsident von Nike, ja?« Roy sah zum Haus. »Darüber sollten wir noch ein wenig nachdenken. Das könnte die Lage gewaltig ändern.«
Ein Mädchen stehlen
Das Glas prallte von der Schreibtischkante ab. Es zitterte zwischen Cheyennes Fingern, aber es zerbrach nicht. Mit zusammengebundenen Händen war es schwer, genug Kraft in die Bewegung zu legen, eine Bewegung, die nicht mehr als ein Schlenker ihres Handgelenks war. Und ein bisschen hatte sie auch Angst, sich zu schneiden.
Cheyenne nahm all ihre Kraft zusammen und holte noch weiter aus.
Mit einem hellen Klang prallte das Glas abermals ab und blieb auch diesmal heil.
Sie wusste, dass sie mehr zu befürchten hatte, als sich zu schneiden. Was diese Männer ihr vielleicht antun würden, wäre viel, viel schlimmer. Als sie das nächste Mal ausholte, nahm sie aus der Hüfte heraus Schwung und drehte ihr Handgelenk, so stark sie konnte.
Die Zeit verlangsamte sich. Cheyenne spürte den Aufprall und dann die sich ausbreitenden Sprünge, als das Glas riss und brach. Cheyenne hielt nur noch ein großes Stück in der Hand, die anderen fielen auf den Fußboden und sprangen zurück. Vorsichtig streckte sie die Finger ihrer leeren Hand aus und untersuchte die Scherbe, die sie in der anderen hielt.
Sie war ungefähr fünf Zentimeter lang und zweieinhalb breit. Die Ränder waren gebogen und sehr scharf. Cheyenne hatte Angst, sie auch nur anzutippen. Es war, als würde sie mit ihrer Fingerspitze über die Klinge eines Messers streichen, voller gefährlicher Verheißung. Sie konnte ihren Herzschlag in den Ohren spüren.
Was sollte sie als Erstes tun? Es würde am einfachsten sein, zuerst die Schnur zu zerschneiden, mit der sie am Bett angebunden war, aber ihre Hände wären dann immer noch
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