Lauf, wenn es dunkel wird
Splittern. Das Fenster zerbrach wirklich langsam. Sie musste hier weg. Sie drückte das Gaspedal ein bisschen weiter runter. Vorne rechts knirschte das Auto über den Schotter. Cheyenne steuerte etwas dagegen, aber es reichte nicht. Der rechte Hinterreifen war auch nicht mehr auf der Straße. »Ich bin irgendwo eine Autostunde weit vom Woodlands Experience Einkaufszentrum weg. Ich bin auf einer Straße in den Wäldern. Sie ist asphaltiert und hat Seitenstreifen aus Schotter. Und es ist einsam. In der letzten halben Stunde hab ich nur ein Auto vorbeifahren hören.«
»In Ordnung, ich weiß, welcher Handymast deinen Anruf überträgt. Das grenzt es ein - aber nicht genug. Wir müssen immer noch einen Radius von fünf Meilen abdecken. Ich alarmiere alle Einheiten in deiner Nähe, damit sie dich finden.« Cheyenne hörte, wie die Frau Anweisungen weitergab.
Ein weiterer Schlag gab dem Fenster den Rest. Risse durchzogen das Glas, es hörte sich wie knisternde Cellophanfolie an.
»Cheyenne!« Roy brüllte. »Cheyenne!«
»Ist er das?« In die sorgsam emotionslos gehaltene Stimme der Frau am Telefon schlich sich ein Hauch von Schock.
»Ja!« Cheyenne keuchte. »Bitte beeilen Sie sich!«
»Wir kommen, Cheyenne.«
Nach einer schier endlosen Zeit, die wahrscheinlich nur eine Minute gedauert hatte, hörte man in der Ferne ganz schwach einen Heulton. »Moment! Ich hör eine Sirene!«
»Aus welcher Richtung? Ich habe vier Autos draußen, aber sie sind ziemlich weit verteilt.«
»Ich glaub, aus Süden, aber ich bin mir nicht sicher.« Cheyenne fiel etwas ein. »Können Sie ihnen sagen, dass sie ihre Sirenen einer nach dem anderen anstellen sollen?«
»Ja, aber was -«, und dann verstand sie. »Ja! Halt durch. Ich sag ihnen, dass sie es nacheinander machen sollen. Und du gibst mir dann Bescheid, welche du hörst. - Auto eins«, sagte die Frau. Stille.
»Nichts«, sagte Cheyenne. Sie hatte Angst, dass sie es nicht richtig hören würde, und nahm den Fuß vom Gas.
Mit einer Hand langte Cheyenne zur Scheibe und strich mit den Fingern darüber. Es fühlte sich wie ein Netz aus Kieselsteinen an. Und genau in dem Moment krachte der Stein wieder gegen das Fenster. Plötzlich strömte kalte Luft ins Auto. Das Loch war nur so groß wie ein Zehncentstück, aber sie wusste, dass das nicht so bleiben würde.
»Auto zwei.«
»Noch immer nichts.« Cheyenne hatte sich noch nie im Leben so einsam gefühlt.
»Auto drei.«
Endlich hörte sie eine Sirene.
»Das ist es! Und es hört sich näher an als vorhin.«
»Alles klar!«, sagte die Frau triumphierend. »Wir kommen.«
Dann stieß eine Hand durchs Fenster, umfasste Cheyennes Hals und drückte sie gegen die Kopfstütze. Das Handy fiel auf den Boden. Wo war die Pistole? Cheyenne wusste es nicht mehr, und als sie mit der Hand über den Sitz strich, konnte sie die Waffe nicht finden. Roy drückte ihren Hals fester zu. Sie konnte nicht schreien - sie konnte nicht mal atmen -, aber sie hörte, wie die Sirene immer lauter wurde.
Verzweifelt wühlte Cheyenne in ihrer Tasche und fand schließlich die Glasscherbe. Sie packte sie, achtete nicht darauf, dass sie sich den Daumen aufschnitt, und zog sie dann über Roys Handrücken. Er fluchte, ließ ihren Hals los und wand ihr das Glasstück aus den Fingern. Es war vor Blut ganz glitschig, sein Blut und ihrs, und sie konnte die Scherbe nicht festhalten.
Dann war Roys Hand zurück. Wie ein Stahlband lag sie um ihren Hals. Sie würde sterben, Sekunden bevor sie gerettet wurde. Nein! Nein! Sie durfte nicht sterben. Nicht jetzt. Vielleicht würde er loslassen, wenn sie wieder anfuhr. Mit einer Hand suchte sie das Lenkrad und dann trat sie das Gaspedal.
Es rumste und jemand schrie und plötzlich war Roys Hand nicht mehr da. Cheyenne spürte, wie der Hinterreifen über etwas drüberfuhr.
Sie hörte, wie hinter ihr ein Auto mit quietschenden Reifen zum Stehen kam. Die Sirene wurde ausgestellt. Zwei Türen wurden aufgerissen.
»Halt! Polizei!«, rief eine Männerstimme. »Bleiben Sie am Boden!«
Schritte rannten zu ihr. »Cheyenne, hier ist die Polizei«, sagte ein anderer Mann. »Du bist jetzt in Sicherheit.«
Eine ganze Weile rührte Cheyenne sich nicht. »Ich will ihre Dienstmarke fühlen«, sagte sie schließlich. Ihr Fuß stand auf der Bremse, aber sie konnte ihn jederzeit zum Gaspedal rüberschwenken.
»Was?«
»Haben sie Ihnen nicht erzählt, dass ich blind bin? Ich will Ihre Dienstmarke fühlen. Der Mann, der mich gerade umbringen
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