Laura Leander 02 - Laura und das Siegel der Sieben Monde
Wenn das bloß gut gehen würde!
Da der Sportlehrer jedoch bereits munter in Richtung Burg marschierte, musste Laura ihm notgedrungen folgen, wenn sie nicht am Rand des Henkerswaldes zurückbleiben wollte.
Schon nach wenigen Schritten rann ihr der Schweiß aus allen Poren. Obwohl die Sonne den Zenit längst überschritten und bereits ihre Bahn nach Westen eingeschlagen hatte, brannte sie mit ungeminderter Kraft vom wolkenlosen Himmel. Die Luft flimmerte und schien zu glühen, und selbst im Schatten der zahlreichen Bäume, die auf den Fluren standen, spürte Laura kaum Kühlung. Sie mussten mitten im Hochsommer gelandet sein. Zu gerne hätte sie ihre Ballonmütze abgenommen, aber das war unmöglich. So quälte Laura sich schwitzend weiter.
Auf den Feldern wogte das Getreide im Gluthauch des Windes, während auf den Wiesen die Mahd fast vollständig abgeschlossen war. Der Duft von frischem Heu drang Laura in die Nase, das Blöken von Schafen erfüllte die Luft, und hin und wieder war das Muhen einer Kuh oder das Wiehern eines Pferdes zu hören. Die üblichen ländlichen Geräusche eben – und trotzdem stimmte etwas nicht. Irgendwie hörte sich das alles anders an als sonst.
Es dauerte eine Weile, bis dem Mädchen aufging, dass es das Fehlen von Motorenlärm war, was es so verstörte. Kein Auto, kein Traktor, kein Motorrad und auch kein Flugzeug war zu hören. Unwillkürlich schüttelte Laura den Kopf. Schon eigenartig, dass sie sich bereits so an den Lärm der Zivilisation gewöhnt hatte, dass ihr sein Fehlen wie eine Störung vorkam!
Laura blickte sich um. Kein Strommast verbaute den Blick, keine Überspannungsleitung verschandelte die Landschaft, nirgendwo waren asphaltierte Straßen zu sehen. Nur ein ausgefahrener Schotterweg schlängelte sich auf die Burg zu. In der Ferne, wo er aus dem Wald herausführte, erhob sich eine Ansiedlung, die aus einem knappen Dutzend ärmlicher Hütten bestand – der Weiler Ravenstein wahrscheinlich, in dem die Lehnsbauern des Grausamen Ritters ihr kärgliches Dasein fristeten.
Das Dorf, in dem die arme Silva gelebt hatte.
Plötzlich fühlte Laura, wie durstig sie war. Die Zunge schien ihr am Gaumen zu kleben. Aber natürlich hatten sie nichts zu trinken dabei.
»Du wirst diisch schon gedulden müssen, bis wir auf der Burg angelangt sind«, erklärte Percy. Auch ihm musste fürchterlich heiß sein unter der samtenen Kappe. Schweiß strömte über seine Stirn, und das Oberteil seines Gewandes zeigte dunkle Schwitzflecken. »Lass uns also darauf ‘offen, dass der liiebe Reimar siisch ausnamsweise bester Stimmung befleißiischt und uns nascht sogleisch in seinen finstersten Kerker befördern lässt!« An dem Grinsen in seinem verschwitzten Gesicht erkannte Laura allerdings, dass er das nicht ganz ernst meinte.
Nur wenige Minuten später jedoch verdüsterte sich Percys Miene wieder, und auch der letzte Anflug guter Laune verflüchtigte sich. Inzwischen waren sie in unmittelbarer Nähe der Burg angelangt, und Percy erkannte, dass sie wohl keinen schlechteren Zeitpunkt für ihren Besuch hätten wählen können.
Der Lehrer verlangsamte den Schritt.
Laura musterte die Szenerie neugierig. Auf dem unbefestigten Platz in der Nähe der Nordost-Mauer – natürlich war die Burg noch nicht von einer Parklandschaft umgeben, auch von Ellerkings Buchsbaumhunden war keine Spur zu entdecken – hatten sich ungefähr zwei Dutzend Frauen und Männer versammelt. Laura und Percy wirbelten mit ihren derben Lederschuhen Staub auf, während sie sich unauffällig unter die Leute mischten. Den ärmlichen Kleidern nach zu urteilen, die die Menschen trugen, musste es sich um Bauern handeln. Die zwischen ihnen herumtollenden zahllosen Kinder waren fast ausnahmslos in Lumpen gehüllt. Die Erwachsenen schenkten weder ihnen noch den Fremden auch nur die geringste Aufmerksamkeit. Wie gebannt hielten sie die Augen auf ein Schauspiel gerichtet, das sich einige Meter vor ihnen abspielte.
Als Laura ihren Blick darauf richtete, erschrak sie zutiefst. Sie erkannte den finsteren Mann in der Rüstung sofort, der dort im Kreise von vielleicht zwanzig Männern stand, die ebenso wie er gerüstet waren: Es war niemand anderer als Reimar von Ravenstein. Eigenartigerweise jedoch war der Grausame Ritter um fast einen Kopf kleiner, als sie ihn aus ihren schrecklichen Begegnungen in Erinnerung hatte. Seine Rüstung allerdings war genau die gleiche, und auch bei dem Schwert, das an seiner Seite baumelte, handelte es sich
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