Laura Leander - 03 Laura und das Orakel der Silbernen Sphinx
Syrin ihr Pferd. Ihre bleiche Fratze war von wilder Wut verzerrt.
Laura wusste sehr wohl, dass es sich bei diesen Heerscharen nur um einen Bruchteil der gewaltigen Streitmacht Borborons handelte, der seit Anbeginn der Zeiten mit den Kriegern des Lichts im Kampf lag und Elysion nach dem Leben trachtete, um dem Ewigen Nichts zur Herrschaft zu verhelfen. Und Laura wusste auch, was ein Sieg des Dunklen Herrschers bedeuten würde: Alles Leben würde vernichtet und damit das Ende der Welten besiegelt werden.
Das Mädchen schluckte. Einen Moment zögerte es, dem bangen Gefühl, das sich seiner bemächtigt hatte, Ausdruck zu verleihen. Dann aber wagte Laura es doch. »Verzeiht mir… die Frage, Herr, aber… können wir überhaupt etwas ausrichten gegen einen derart übermächtigen Gegner?«
»Natürlich.« Elysion lächelte, als wolle er Laura Mut machen. »Schließlich stehen uns Streiter zur Seite, die an Tapferkeit nicht zu übertreffen sind.«
Laura blickte zu den Reihen der Weißen Ritter, die auf den nördlichen Hügeln aufgezogen waren. Auch ihre Zahl war gewaltig, obwohl sie bei weitem nicht an die von Borborons Heer heranreichte.
»Zu Verzagtheit besteht kein Anlass«, fuhr der Hüter des Lichts fort. »Du weißt doch: Wer auf die Kraft des Lichts vertraut, dem kann alles gelingen. Es gibt mächtige Waffen im Kampf gegen das Böse, die selbst den stärksten Gegner zu besiegen vermögen. Es kostet zwar Mühe, sich in ihren Besitz zu bringen, doch wer schließlich über sie verfügt, dem werden sie eine unschätzbare Hilfe sein – auch dir, Laura. Kehre also getrost zurück auf den Menschenstern, und nutze die Zeit bis zum nächsten Sonnenfest, um deine besonderen Fähigkeiten weiter zu stärken. Denn du wirst noch zahlreiche Prüfungen bestehen müssen, die dein ganzes Können und all deinen Mut erfordern.«
»Aber wie, Herr? Wie…?«, begann das Mädchen, als der Hüter des Lichts ihm das Wort abschnitt.
»Geh, Laura!«, befahl er mit einer Stimme, die keinen Widerspruch duldete. »Die Sonne wird bald am Firmament erscheinen, und damit wird die Pforte sich auflösen, durch die du zurück auf den Menschenstern gelangen kannst. Nichts aber wäre schlimmer für dich, als zwischen den Welten verloren zu sein. Wenn du also zur Mittsommernacht wieder zu uns zurückkehren willst…«
In diesem Moment zerriss ein aufgeregtes Wiehern die gespannte Stille, die sich über das Reich der Mythen gesenkt hatte. Es war Sturmwind, Lauras Schimmel.
Elysion stockte, und sein Antlitz wurde fahl.
Besorgt drehte Laura sich nach ihrem Hengst um, der ein paar Schritte von ihr entfernt stand. Sturmwind scharrte unruhig mit den Vorderhufen. Rasch trat sie zu ihm und nahm ihn am Zügel. »Ho, Alter, ho«, flüsterte sie beruhigend. »Was hast du denn plötzlich?«
Im gleichen Augenblick meinte sie von Ferne ein Rauschen zu vernehmen, das sich wie das Schlagen gewaltiger Flügel anhörte. Ein Anflug von Sorge verschattete die Zuge des Ritters Paravain. Auch die junge Heilerin Morwena auf dem Schimmel neben ihm, die die beiden so ungleichen Männer ins Tal der Zeiten begleitet hatte, wirkte plötzlich bekümmert. Sie spähte gleich ihrem Begleiter hoch zum Himmel, an dessen östlichem Saum schon das erste Grau des Morgens dämmerte.
»Wonach haltet Ihr Ausschau?«, fragte Laura alarmiert.
Der junge Ritter wollte schon antworten, als sich die Konturen eines gewaltigen Drachen am Himmel abzeichneten. Er hatte zwei Köpfe und kam rasend schnell näher.
»Geh, Laura!«, schrie der Hüter des Lichts ihr zu. »Kehre zurück zum Menschenstern, bevor es zu spät ist!« Und dann…
»W as ist denn los, Laura? Träumst du schon wieder – oder warum antwortest du mir nicht?« Laura zuckte wie elektrisiert zusammen und riss die Augen auf. »Ähm«, stammelte sie verwirrt und musterte das vor ihr stehende fremde Wesen mit abwesendem Blick. Wer war das?
Und wo war sie überhaupt?
Für einen Moment hatte Laura keinen blassen Schimmer, was um sie herum vor sich ging. Erst als Kaja Löwenstein, ihre Freundin und Banknachbarin, sie unter dem Tisch anstieß, lichtete sich der Schleier vor ihren Augen und ihr wurde klar, dass sie sich nicht mehr auf Aventerra, sondern in ihrem Klassenzimmer auf Burg Ravenstein befand. Durch die großen Fenster war der kopfsteingepflasterte Innenhof des efeubewachsenen Gebäudegevierts zu sehen, aus dem wie von weither Vogelgezwitscher an ihr Ohr drang. Die Stufen der großen Freitreppe, die zum
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