Laura Leander 06 - Laura und das Labyrinth des Lichts
geheime Wissen der Wächter und konnte jedem, der es kannte, von unschätzbarem Nutzen sein. Schon Generationen von Wächtern hatte es geholfen, sich gegen die Dunklen zu behaupten und selbst die hinterhältigsten Angriffe und Intrigen abzuwehren. Doch er, Aurelius, hatte die Mahnungen des Paters einfach in den Wind geschlagen. »Später«, hatte er nur gesagt, »später, wenn ich mehr Zeit dafür habe.«
Die Leitung des Internats hatte ihn sehr in Anspruch genommen, und die Führung der ihm anvertrauten Wächter und die Ausbildung der Eleven hatten ebenfalls viel Zeit erfordert. Von morgens bis abends war er beschäftigt gewesen und hatte nie die nötige Zeit und Muße gefunden, sich der »Bruderschaft der Sieben« zuzuwenden – bis es dann zu spät war: Ein Dieb hatte die Schrift aus der geheimen Bibliothek entwendet und Pater Dominikus ermordet. Seitdem hatte Aurelius Morgenstern vergeblich versucht, das wertvolle Buch wieder in seinen Besitz zu bringen.
Im Dezember des vergangenen Jahres hatte Maximilian Longolius die verschollene Schrift überraschend zurückgebracht. Damals hatte Aurelius die wahre Natur dieses ruchlosen Schwarzmagiers nicht durchschaut und sich endlich am Ziel seiner Wünsche geglaubt – nur um dann feststellen zu müssen, dass man ihn getäuscht hatte. Seither sann der Professor darüber nach, wo sich das Buch befinden mochte. Er war inzwischen davon überzeugt, dass die Schrift auch Laura retten konnte. Das Kapitel über das Helle und das Dunkle Kind, das er vor Jahrzehnten einmal flüchtig überflogen hatte, enthielt entsprechende Hinweise. Leider konnte Aurelius sich nicht mehr an die wichtigen Details erinnern.
Maximilian Longolius war im Besitz des Originals gewesen, so viel war sicher. Was gleichzeitig bedeutete, dass das Buch noch irgendwo sein musste.
Aurelius hatte in der Zwischenzeit alles unternommen, um »Die Bruderschaft der Sieben« aufzuspüren. Er hatte sich heimlich Zugang zum Penthouse des Verlegers verschafft, das seit dessen Tod verwaist war, und dort alles gründlich durchsucht. Ja, er hatte sogar eine renommierte Detektei mit der Suche beauftragt. Doch es war vergeblich gewesen. Das Buch blieb verschwunden, als hätte der Erdboden es verschluckt.
Dabei musste es doch irgendwo sein!
Aurelius verharrte und trank einen Schluck Tee. Dabei fiel sein Blick aus dem Fenster auf den Vollmond am Himmel. Plötzlich dachte er an Marius und Anna, die auf der Insel im Drudensee bestimmt schon sehnsüchtig auf die Rückkehr ihres Sohnes warteten. Er hoffte mit ihnen, dass Lukas heil zurückkehrte.
Und dass Laura endlich wieder gesund wurde!
Die schrecklichen Ereignisse hatten insbesondere Anna stark mitgenommen. Sie hatte so sehr darunter gelitten, dass sie die Arbeit an ihrer Diplomschrift unterbrochen und seitdem nicht wieder aufgenommen hatte.
Dabei war sie beinahe fertig gewesen. »Ich muss nur noch ein winziges Detail in der Uni-Bibliothek überprüfen«, hatte Anna ihm selbst verraten, »dann kann ich sie abgeben.«
Aber das war nun schon drei Monate her, und Anna hatte die Arbeit immer noch nicht abgeschlossen.
Welch große Folgen winzige Details manchmal haben können, dachte Aurelius wehmütig, während er einen weiteren Schluck Tee schlürfte. Dabei war es zur Uni-Bibliothek wirklich nicht weit! Den Besuch dort hätte Anna doch trotz allem …
Aurelius Morgenstern hielt abrupt inne. Dann stellte er die Teetasse so heftig ab, dass sie beinahe zerbrochen wäre, und schüttelte mit verärgerter Miene den Kopf. Meine Güte!, schalt er sich selbst. Dass ich darauf nicht früher gekommen bin!
Er zog das Handy aus dem Mantel und wählte eine Nummer.
L aura war der Verzweiflung nahe. Stundenlang hatte sie das Schwarze Schloss durchsucht, die sieben Stockwerke und alle Räume gründlich durchstöbert – und trotzdem keine Spur von Lukas entdeckt.
Und von der Einhornprinzessin Smeralda auch nicht!
Dabei hatte Beliaal Wort gehalten. Seine Bediensteten – Werwölfe, Erdtrolle, Vampire oder ähnlich schreckliche Geschöpfe – behinderten ihre Suche nicht. Im Gegenteil: bereitwillig öffneten sie jede Tür, hinter die sie blicken wollte. Selbst die Furcht erregenden Mantikore hielten sich im Zaum.
Den Ungeheuern war deutlich anzusehen, dass sie dem Mädchen am liebsten sofort mit den scharfen Krallen die Kehle zerfetzt hätten. Dennoch ließen sie Laura anstandslos das Portal zum Thronsaal passieren, obwohl sie sich ein drohendes Knurren nicht verkneifen
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