Laura, Leo, Luca und ich
eine große blaue Schürze wie Meister Eder. Der Apotheker hat eine starke Brille und ist der Dorfintellektuelle, in dessen Schaufenster die Plakate der aktuellen Klassikkonzerte in Grado und den umliegenden Gemeinden aushängen. Silvano, der Fischauktionator, hat ein breites Lachen und einen prächtigen Händedruck. Und die Schneiderin habe ich schon mal in einer Bar getroffen, und sie trug ganz selbstverständlich ihr Nadelkissen am Unterarm.
Jetzt kommt meine Ledertasche ins Spiel. Ich trage sie schon seit der 10. Klasse mit mir herum. Sie ist das Accessoire, das es am längsten mit mir ausgehalten |158| hat. Sie ist zu groß, um sie zu verlieren, und zu klein, um einem beim großen Aufräumen auf die Nerven zu gehen. Sie ist inzwischen ebenso würdevoll wie unleugbar in die Jahre gekommen, mit Gebrauchsspuren aus Konferenzen, wo sie achtlos mit dem Fuß getreten wurde, und Kneipen, wo sie, während ihr Besitzer dem Feierabend zuprostete, den einen oder anderen Schwall Bier oder heiße Asche abbekam. Doch mit der Zeit hatte sich ein Riss gebildet, der von Tag zu Tag schlimmer wurde, so dass die Tasche bald nur noch ornamentale Bedeutung hatte, weil sie keinerlei Papier mehr aufnehmen konnte, ohne es sofort zu verlieren. Sie war gewissermaßen alt und inkontinent geworden.
Also ging ich eines Nachmittags zum Schuhmacher. Der beäugte den Riss und sagte: Alles klar, morgen früh. Schon diese beiden Satzteile hatte ich noch von keinem Handwerker gehört. Denn in Deutschland wäre es, falls der Schuhmacher die Tasche überhaupt angenommen hätte, entweder der komplizierteste, irreparabelste Riss gewesen, den der Schuhmacher in seiner vierzigjährigen Laufbahn jemals zu Gesicht bekommen hätte, oder sein Auftragsbuch wäre so prall gefüllt, dass vor nächsten Monat »bei aller Liebe« nichts ginge, oder aber, und das war am wahrscheinlichsten, ich hätte beide Lamentos zugleich gehört und obendrauf noch den Satz, dass man diese speziellen Geräte »natürlich nicht« selbst im Laden habe und man die Tasche verschicken müsse, was zusätzlich ein paar Wochen dauern könne und, klar, »etwas mehr« kosten würde.
|159| Es kam noch besser. Am nächsten Morgen war der Riss verschwunden und die Tasche mit irgendeinem Öl poliert, so dass sie aussah wie frisch von der Schönheitsfarm, und als ich fragte, wie viel es machte, druckste der Schuhmacher eine Weile herum. Ich befürchtete das Schlimmste. Aber dann sagte er: Na gut, fünf Euro.
Er hatte tatsächlich mit sich gerungen, weil er es mir umsonst anbieten wollte, aber dann dachte er sich, dass vielleicht ich es gewesen wäre, der damit ein Problem gehabt hätte. Und damit hatte er verdammt Recht. Ich war extra vorher am Bankautomaten gewesen, weil ich mit einem üppigeren Betrag rechnete. Jetzt schämte ich mich und gab ihm den Geldschein. Am liebsten hätte ich ihn umarmt. Aber aus seiner blauen Schürze ragten oben ein paar Schraubenzieher raus, die sich vielleicht in meine Brust gebohrt hätten. Dafür lobpreiste ich seine Arbeit in einem Italienisch, das im Wesentlichen aus Vokabeln bestand, die ich bei den Sonntagsmessen in der Basilika aufgeschnappt hatte.
|160|
Die Ciao-Problematik
A lso, die Sache mit dem Cappuccino ist ja schon seit Seite 63 ff. geklärt. Sie können sich jederzeit und ungestraft einen Cappuccino bestellen, ohne für einen Kulturbanausen gehalten zu werden. Nur über die Sache mit dem
ciao
sollten wir mal reden. Ciao ist ein schönes, freundliches Wort. Mehr als diese vier Buchstaben, lustvoll mit langem a ausgesprochen, braucht es nicht, um in uns eine winzige Stichflamme des Begehrens nach Süden zu entzünden. Doch Ciao ist nicht frei von Tücken. Es ist nämlich folgendermaßen. Italiener, wir wissen und schätzen es alle, sind freundlich. Aber auch höflich und respektvoll. »Ciao« sagt man unter Jugendlichen oder unter guten Freunden. Beim Metzger oder im Restaurant sagt man das nicht, es sei denn, es ist Ihr Stammmetzger, den Sie auch privat kennen, oder der Inhaber des Restaurants war schon mehrmals bei Ihnen in Deutschland zu Besuch. Und übernachtete auf Ihrer Schlafcouch. »Ciao«, auch ich musste es schmerzhaft lernen (Laura pflegte mir ihren Ellbogen in die Rippen zu rammen), ist, falsch gebraucht, ein ziemlich aufdringliches Wort. Egal, wie freundlich der Kellner |161| zu Ihnen ist:
Buonasera
ist passender. Und bei einer Dame schadet es nie, noch ein
Signora
dranzuhängen.
Respekt wird in Italien gern und häufig
Weitere Kostenlose Bücher