Laura, Leo, Luca und ich
Cappuccino und ein Croissant (
brioche
) mit Vanillefüllung, und Gianna schnürt mir mittags mein Tramezzino-Paket.
|151| Nun ist der Italiener ja auch nur ein Mensch und daher manchmal am Morgen etwas maulfaul. Es ist also keineswegs das gestenreiche Geschnatter, das die Geräuschkulisse dominiert, sondern vielmehr das Rascheln der Morgenzeitungen. Denn wenngleich ein Espresso (also ein
caffè
) mit oder ohne Milchschaum immer noch nur 80 Cent kostet und jeder
barista
Italiens meinen überschlägigen Berechnungen nach Hunger leiden müsste (aber ich war ja noch nie gut in Mathe), liegen drei bis vier Tageszeitungen zur freien Verfügung herum. In Deutschland zahlt man 2,70 Euro für einen Espresso und bekommt mit Glück eine in ein Holzgestell eingepferchte Zeitung, die das Lesen mindestens der Spalte am Bund unmöglich macht. Außerdem, so geht es jedenfalls mir, bleibt die Konstruktion gern einmal im Kaffee hängen oder verteilt ihn gleich auf dem Tisch.
Weil die ›Gazzetta dello Sport‹ von Leo und Luca zwar nicht frei von, aber auch nicht ausschließlich aus Ironie als
bibbia
, Bibel, bezeichnet wird, ist das Gerangel um die rosa- oder lachsfarbenen Seiten am größten. Sie sehen: Ich bin auch nicht so gut in Farben. Was ist zum Beispiel das geheimnisvolle Mauve? Ohne den achtseitigen Spielbericht einer so atemberaubenden Partie wie Empoli – Reggina halten es weder Leo noch Luca aus. Als Sportfan und Journalist wage ich mal zu behaupten, dass in der ›Gazzetta‹ wie in so vielen anderen Sportzeitungen, die täglich erscheinen müssen (und zwar sieben Tage die Woche. Und zwar auch in der Sommerpause), eine Menge Quatsch drinsteht. |152| Abgesehen von einer nicht zu leugnenden Wortfülle und Redundanz: Allein schon die Notengebung nervt. Denn während ›Bild‹ (in diesem Fall muss es einmal erlaubt sein, ›Bild‹ zu verteidigen) nach Schulnoten bewertet und auch vor Einsen und Sechsen nicht zurückschreckt, geht das Notensystem der ›Gazzetta dello Sport‹ theoretisch von 1 bis 10. Doch die schlechteste Note, die ein Spieler je bekam (und ich rede hier von einem Torwart, der zwei Bälle durch die Beine gelassen, drei Ecken unterlaufen und einen Elfmeter verschuldet hat und in der Nachspielzeit wegen Meckerns vom Platz flog), ist eine 5. Ein Spieler hingegen, der drei Tore selbst gemacht hat, und zwar eines davon per Fallrückzieher, eines per Flugkopfball von der Strafraumgrenze und eines per 3 0-Meter -Freistoß, der bekommt allerhöchstens eine 8. Und das wiederum bedeutet, dass die Spieler-Zeugnisse einer Mannschaft sich etwa so lesen: 6, 5, 6,5, 6, 6, 5, 5, 5,6, 5,6, 5,5. Ich finde das in höchstem Maße ungerecht, denn so nobel das Gleichheitsprinzip in vielen Lebensbereichen ist, so sollte doch gerade der Sport exzellente Leistungen entsprechend würdigen.
Ein Beispiel, während ich das hier schreibe: Das Lokalderby Inter-Milan vom 11. Dezember 2005, in sechzig Länder übertragen, erweist sich als hochdramatisches Spiel und geht 3: 2 aus. Adriano, der brasilianische Inter-Stürmer, schießt das erste Tor, bereitet das zweite Tor vor und schießt in der 92. Minute den Siegtreffer. Mehr kann man gegen die mutmaßlich beste Abwehr der Welt (Nesta, Maldini, Stam, Kaladze |153| und im Tor Dida, der für einen Brasilianer auf dieser Position wirklich gut ist) doch nun wirklich nicht verlangen. Seine Note? 7,5.
Leo stimmt mir zu, dass die Benotungen eigenartig sind. Vor allem für die Schiedsrichter ist das System ganz schön undankbar. Hat der Schiedsrichter eine miserable Leistung erbracht, gibt es eine 4,5 oder eine 5. Hat er gut gepfiffen, kriegt er eine 6. Er wird also entweder niedrig oder durchschnittlich bewertet. Eine 7 oder gar 8 gibt es nie.
Aber das tut der Beliebtheit der ›Gazzetta‹ keinen Abbruch. Leo und Luca vertiefen sich also in die Spielberichte, Laura redet mit Cinzia über Dinge, von denen ich nichts verstehe, und ich lese den ›Piccolo‹. Das ist die Lokalzeitung für die Region und bietet mir immer eine Seite Grado. Und diese Seite führt mir die Welt wie im Weichzeichner vor. Denn wenn die Hauptmeldung lautet, dass die Arbeiten am Museum des Meeres nun endlich begonnen haben, dass der neue Parkplatz außerhalb des Zentrums im nächsten Jahr in Betrieb geht und dass Nico Gaddi eine neue Galerie eröffnet hat, dann sind Vogelgrippe, Selbstmordattentäter und Guido Westerwelle in ein angenehm fernes Paralleluniversum verbannt.
Damit ich
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