Laura und das Labyrinth des Lichts
»Seid Ihr sicher, dass Lukas Smeralda ins Schwarze Schloss gebracht hat?«, fragte sie mit deutlichem Zweifel in der Stimme.
»Aber gewiss doch!«, antwortete Herr Virpo aufgeregt. »Wir sind ihm doch gefolgt, bis er mit der Prinzessin im Schattenforst verschwunden ist. Damit steht außer Frage, dass er sie zu Beliaal ins Schwarze Schloss verschleppt hat.«
»Und warum habt Ihr ihnen nicht bis dorthin nachgespürt?«
»Hört, hört, ihr Herren!«, empörte sich Herr Yirpo. »Dieser Stampffußling ist wohl ein rechter Nichtsweißling!«
»Wie wahr, wie wahr!«, pflichtete Herr Zirpo ihm bei und sah Laura vorwurfsvoll an. »Jenseits der Grenzen des finsteren Forsts hätten die Kopfflügler sich doch augenblicklich auf uns gestürzt. Genau wie wir Flatterflügler darauf achten, dass kein Geschöpf aus dem Schattenforst in den Karfunkelwald gelangt, bewachen die blutgierigen Kopfflügler den Eingang zum Schattenforst. Kein Wesen des Lichts kann ihn gegen ihren Willen betreten, ohne sein Leben aufs Spiel zu setzen.«
Laura starrte eine ganze Weile stumm vor sich hin. Sie musste die grauenvolle Neuigkeit erst einmal verdauen. Das Vergehen ihres Bruders war ihr einfach unbegreiflich. Dafür gab es nur eine Erklärung: »Lukas hat das bestimmt nicht aus freien Stücken getan«, versuchte sie die Flatterflügler zu beschwichtigen. »Der Fhurhur oder dieser Dämon muss ihn mit einem schwarzmagischen Bann belegt haben, da bin ich mir sicher.«
»Das mag schon sein«, antwortete Herr Virpo ungnädig. »Dennoch ändert es nichts daran, dass die Einhornprinzessin sich nun in Beliaals Gewalt befindet und uns allen schreckliches Unheil droht, wenn sie nicht bald befreit wird.«
»Ich verstehe nur nicht …« Laura blickte die aufgeregten Flatterwichte fragend an. »Was hat Beliaal mit der Prinzessin eigentlich vor?«
Im Herz der Finsternis war es normalerweise stockdunkel. Seit geraumer Zeit jedoch schimmerte ein Licht in der hintersten Ecke der zerklüfteten Höhle tief unter dem Schwarzen Schlund. Der Schein war nicht besonders hell, aber deutlich wahrnehmbar. Beliaal störte sich jedes Mal daran, wenn er sein geheimes Refugium betrat.
Seine Dämonenaugen konnten selbst die abgrundtiefe Schwärze durchdringen, die für gewöhnlich hier herrschte. Allzu viel gab es im Herz der Finsternis allerdings nicht zu sehen. Nur eine nahezu endlose Zahl pechschwarzer Basiliskeneier, die fast den gesamten Höhlenboden bedeckten. In einem davon hatte Beliaal sein schwarzes Herz versteckt, nachdem er es durch ein Herz aus Stein ersetzt hatte. Seitdem schlug das Organ, das ihn am Leben hielt, nicht mehr in seiner Brust, sondern in einem der unzähligen völlig gleich aussehenden Eier. Niemand außer ihm selbst würde es finden, zumal auch nur er allein wusste, wie man ins Herz der Finsternis gelangte. Selbst seinen engsten Vertrauten – falls man den Kopfflügler und die Mantikore als solche bezeichnen konnte – war der Eingang unbekannt.
Was sollten sie auch dort? Mit Smeralda wurde er auch allein fertig!
Denn das sanfte Schimmern in der Ecke ging vom Einhorn aus. Getränkt vom reinen Licht des Karfunkelwaldes, war sein Zauberglanz selbst in der Dunkelheit der Höhle nicht erloschen und erinnerte Beliaal stets schmerzhaft daran, dass die Finsternis noch immer nicht die Macht über das Licht errungen hatte.
Aber das würde sich bald ändern. Sehr bald sogar!
Als der Dämon bei Smeralda angekommen war, wandte sich das Einhorn ab, soweit es die dicken Seile zuließen, mit denen es festgebunden war.
Beliaals Fratze verzerrte sich zu einem höhnischen Grinsen. Anfangs hatte er sich über die Starrköpfigkeit des Einhorns geärgert und war darüber sogar in Wut geraten. Mittlerweile jedoch erheiterte ihr Starrsinn ihn, und es bereitete ihm zunehmend Spaß, Smeralda zu quälen. Aus diesem Grunde hatte er ihr die Decke abgenommen, die ihr den Willen geraubt hatte. Das Strahlen ihres Fells war dadurch zwar heller geworden, aber ein willenloses Wesen war schwer zu peinigen.
»Ich hoffe, es geht dir gut, Prinzessin«, sagte er voller Häme, »und alles ist zu deiner vollsten Zufriedenheit.«
Smeralda antwortete nicht. Sie schnaubte nicht einmal verächtlich.
»Wenn ich nur wüsste, warum du so verstimmt bist«, fuhr der Dämon in unverändertem Tonfall fort. »Dennoch kann ich dir die Frage auch diesmal nicht ersparen: Willst du nicht freiwillig auf meine Seite wechseln?«
Das Einhorn wieherte wütend und fuhr herum.
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