Laura und das Labyrinth des Lichts
»Niemals!«
»Warum so starrköpfig, Prinzessin? Es würde dir vieles erleichtern! Du würdest dich auf der Stelle in ein schwarzes Einhorn verwandeln, und Ghoul, mein starker Hengst, könnte die Nachkommen mit dir zeugen, die ich mir schon so lange wünsche!«
»Niemals!«, wiederholte Smeralda. »Das wird niemals geschehen.«
»Mach dir nichts vor, Prinzessin!«, sagte Beliaal unbeeindruckt. »Du weißt doch, dass das unumgänglich ist. Wenn in der morgigen Nacht das Licht der vollen Monde nicht die Zauberkräfte deines Horns erweckt, wird es keine neue Einhornkönigin mehr geben. Ihr Einhörner seid dann zum Aussterben verurteilt, und ich werde mein Reich auch über den Karfunkelwald ausdehnen. Und du …« – er trat dicht vor das Einhorn hin und starrte es tückisch an –, »… du wirst dich in der Nacht der Wintersonnenwende, wenn die Macht der Finsternis am größten ist, ohnehin in ein schwarzes Einhorn verwandeln! Da dein Schicksal also unabwendbar ist, kannst du meinen Vorschlag genauso gut sofort annehmen. Dann musst du nicht länger im Herz der Finsternis darben und kannst dich gleich Ghoul im Schattenforst anschließen.« Beliaal beugte sich vor, bis sein Ziegenbart beinahe Smeraldas Nüstern berührte. »Also, Prinzessin«, sagte er schmeichelnd. »Willst du es dir nicht noch einmal überlegen?«
»Bestimmt nicht, du Teufel!«, schnaubte das Einhorn. »Solange noch Hoffnung besteht, werde ich nicht aufgeben. Niemals!«
Laura blickte die Einhornkönigin mit tiefem Bedauern an. »Es tut mir schrecklich leid, Majestät, was mein Bruder Euch angetan hat«, sagte sie. »Ich bitte Euch aus tiefstem Herzen um Vergebung.«
Lukas’ schreckliche Untat hatte Laura so betroffen gemacht, dass sie die Flatterflügler gebeten hatte, sie zu Silvana zu führen. Sie hatte doch selbst erlebt, wie schrecklich es war, ein geliebtes Wesen zu verlieren oder sich zumindest in dem festen Glauben zu wähnen! Deshalb wollte sie der Einhornkönigin nicht nur ihr Mitgefühl aussprechen, sondern sie zugleich trösten.
Silvana hatte sie auf der Lichtung mitten im Karfunkelwald empfangen. Der märchenhafte Ort wirkte noch zauberhafter als sonst: Das Wasser des kleinen Sees schimmerte golden im Sonnenlicht. Silberbienen, Schmetterlinge und Erleuchtlinge strahlten mit der Leuchtblumenwiese um die Wette, und über den Alten und Pflanzlingen, die die Lichtung säumten, lag ein geheimnisvoller Glanz. Die Einhornkönigin schien davon nichts mitzubekommen. Dabei war der Mittsommertag, der höchste Festtag des Lichts, längst angebrochen – was sie sonst stets mit Freude erfüllt hatte.
Nun aber stand Silvana gesenkten Hauptes im Schatten der großen Torkelweide und starrte betrübt vor sich hin. Sogar das Horn auf ihrer Stirn hatte seinen Perlmuttglanz verloren. Die Königin war unsagbar traurig, und dennoch machte sie Laura keinerlei Vorwürfe.
»Du musst dich nicht entschuldigen«, erklärte Silvana vielmehr. »Du kannst doch nichts für die Tat deines Bruders.«
»O doch! Lukas wollte mir helfen, deshalb trage auch ich Schuld daran. Aber ich verspreche Euch, ich werde es wiedergutmachen.«
Silvana hob den Kopf. »Wie willst du das denn anstellen?«
»Ganz einfach.« Laura sah sie mit feierlichem Ernst an. »Ich werde mich ins Schwarze Schloss begeben und Smeralda befreien!«
Der kühne Entschluss machte die Einhornkönigin sprachlos.
Die Flatterflügler schwiegen betreten. Nachdem sie jedoch den ersten Schreck verwunden hatten, redeten sie wie wild auf Laura ein und versuchten, sie von dem Plan abzubringen.
Auch Silvana riet ihr dringend ab. Aber Laura ließ sich nicht beirren. Sie hatte ohnehin schon beschlossen, das Schwarze Schloss aufzusuchen, um dort nach ihrem Bruder und den restlichen drei Zeichen der Schlange Ausschau zu halten. Als die Einhornkönigin merkte, dass Laura bei ihrem Entschluss blieb, stieg sie unvermittelt auf die Hinterbeine und wieherte laut.
Laura überlegte, was das wohl bedeuten mochte. Da schwebte auch schon ein Schwarm leuchtender Wesen zwischen den Bäumen hervor und hielt auf sie zu: ein knappes Dutzend Elfen, die gemeinsam einen funkelnden Stein in den zarten Händen trugen. Er war so groß wie ein Taubenei und schillerte in allen Farben des Regenbogens.
Laura schaute die Lichtwesen mit großen Augen an.
»Nimm schon, bevor meine Freunde es sich anders überlegen!«, forderte Silvana sie auf, während die Elfen leise vor sich hinkicherten. »Nur am Festtag des Lichts sind sie
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