Laura und das Labyrinth des Lichts
Doch außer dem Eingangsportal, das von diesen furchtbaren Mantikoren bewacht wurde, sah Laura keine weitere Tür in dem Raum. Also schien sie sich tatsächlich im untersten Geschoss zu befinden.
Beliaal ließ sich auf dem Thronsessel nieder und wies Laura den Stuhl daneben zu. Während der Dämon nach dem Hausdiener rief, einem verschlagenen Erdtroll, und Getränke bei ihm orderte – Saft für den Gast und Wein für sich selbst –, schaute sie sich verstohlen um und prägte sich jede Einzelheit genau ein: das Portal mit den Mantikoren. Den Kamin daneben. Den großen Spiegel an der Wand. Die lange Tafel in der Mitte des Raumes. Die herumschwirrenden Krähen. Die Käfer an der Decke – und über Beliaals Thron den mächtigen Kopf des schwarzen Einhorns, in dessen rotem Horn sich die Flammen des Kamins spiegelten. Die Waffe eines Einhorns, das zu seinem größten Feind geworden ist!, schoss es ihr durch den Kopf. Das dritte Zeichen der Schlange. Laura war so abgelenkt, dass sie die Frage des Dämons überhörte.
»Bist du taub?«, fauchte er sie an. »Oder warum antwortest du mir nicht?«
»Ich …« Laura verbeugte sich rasch. »Verzeiht mir, Herr, aber ich war in Gedanken.«
»In Gedanken, soso«, brummte Beliaal verstimmt. »Scheint eine dumme Angewohnheit von euch Menschenkindern zu sein!«
Laura versuchte, sich die Freude bei diesen Worten nicht anmerken zu lassen. Die Bemerkung des Dämons konnte nur eines bedeuten: Lukas hielt sich ebenfalls im Schwarzen Schloss auf! Warum hätte Beliaal ihn auch entkommen lassen sollen?
»Jetzt mach schon!«, blaffte Beliaal los. »Lass mich endlich wissen, was du mir anzubieten hast!«
»Natürlich, Herr, sehr gerne.« Sie wartete noch, bis der Erdtroll die Getränke gebracht und sich wieder verzogen hatte, nippte rasch an ihrem Saft und richtete sich in ihrem Stuhl auf. »Hört zu: Ich bin gekommen, um Euch ein großes Geheimnis zu verraten.«
»Ein Geheimnis? Da bin ich aber gespannt!«
»Das dürft Ihr auch, Herr!« Laura versuchte ein Lächeln. »Ich will Euch nämlich verraten, wodurch wir Menschen einen so großen Einfluss auf die Einhörner besitzen und ihr Schicksal so stark beeinflussen, dass sie uns nahezu ausgeliefert sind.«
»Tatsächlich?« Beliaals Augen glommen auf. Allerdings war ihm anzusehen, dass er nicht wusste, worauf Laura hinauswollte. »Und was sollte mir das nützen?«, hakte er nach.
»Ganz einfach: Sobald Ihr das Geheimnis kennt, müssen die Einhörner Euch zu Willen sein, und Ihr könnt mit ihnen umspringen, wie es Euch beliebt.« Laura beugte sich vor und sah ihn schmeichelnd an. »Das ist doch Euer größter Wunsch, nicht wahr?«
»Du sagst es!« Ein dunkles Leuchten glitt über das Gesicht des Dämons, erlosch jedoch sogleich wieder. Er reckte den Kopf vor und beäugte das Mädchen misstrauisch. »Aber dafür verlangst du doch bestimmt einen Preis, nicht wahr?«
Laura lächelte zufrieden. »Natürlich, Herr. Aber ein so großes Geheimnis ist allemal einen Preis wert, findet Ihr nicht?«
»Kommt darauf an«, entgegnete Beliaal lauernd. »Lass hören!«
»Ich verlange nicht viel. Nur die Kralle eines Mantikors, das Horn eines schwarzen Einhorns und ein Barthaar von Euch.«
»Tatsächlich?« Ein Grinsen lief über Beliaals Fratze. Offensichtlich verstand er den Grund für ihre Forderung. »Ist das alles?«
»Nein, Herr.« Laura schüttelte den Kopf. »Ich wünsche auch noch, dass Ihr meinen Bruder freilasst – Lukas!«
»Was?« Der Dämon zuckte zusammen. Dann sprang er auf. »Niemals!«, schrie er mit Donnerstimme.
Eingeschüchtert krümmte Laura sich auf dem Stuhl zusammen. »Und … wieso nicht?«
»Weil mir der Preis zu hoch ist. Viel zu hoch!«
Laura dachte fieberhaft nach. Sie konnte Lukas doch nicht so einfach im Stich lassen! Das Mädchen erhob sich, hängte die Tasche um und trat vor Beliaal hin. »Wie Ihr meint. Wenn Ihr auf meine Forderung nicht eingehen wollt, verschwinde ich wieder.«
Beliaal grinste sie breit an. »Glaubst du, ich lasse das zu?«
»Auch gut«, sagte Laura. Es klang womöglich eine Spur zu forsch, doch sie musste das Zittern unterdrücken, das sich in ihre Stimme stehlen wollte. »Dann nehme ich mein Geheimnis eben mit in den Tod.«
Der Dämon lehnte sich in seinem Thronsessel zurück und musterte sie für eine Weile. »Hör zu«, meinte er schließlich. »Ich mache dir einen anderen Vorschlag.«
Laura hielt den Atem an. »Lasst hören!«
»Wenn du deinen Bruder in meinem Schloss findest,
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