Lauschangriff - Im Visier der Feinde
wagte.
Ibrahim und Yousaf hatten, außer aus dem Kabinenfenster eines Flugzeugs, das Meer nie gesehen. Sie waren in den Bergen aufgewachsen, waren nie auf einem Schiff gewesen und erlebten auf dem russischen Trawler, auf dem jeder Wellenkamm zu spüren war, ihre Seemannstaufe.
Nach Igors Dafürhalten war das alles aber noch gar nicht schlimm. Noch waren keine Brecher über den Bug geschwappt,noch hatte er keine Netze draußen, da sich die kanadische Küstenwache immer so pingelig zeigte, wenn fremde Schiffe in ihren Gewässern fischten. Die Odessa , vollgepackt mit ihrem Fang, lag also tief im Wasser und machte ihre zwölf Knoten, womit sie gegen 16 Uhr auf die berüchtigte raue See vor Cape Breton Island treffen sollte.
Ibrahim und Yousaf fühlten sich so seekrank, dass sie kurz vor dem Selbstmord standen. Der Tag war nicht besonders gut für sie verlaufen, die Nacht sollte noch schlimmer werden. Es war fast 17 Uhr, als sie die Straße von Canso passierten, die schmale Durchfahrt, die Nova Scotia zweiteilte. Dann standen die 180 Seemeilen entlang der Ostküste von Cape Breton Island bevor.
Sie ließen das Land backbords und hielten sich mehrere Seemeilen vor der Küste. Die aufgewühlte See kam die meiste Zeit von steuerbord querab, bis sie schließlich von achtern hereinschlugen und das Heck nach Backbord schob, um das Schiff weiter hinaus in noch gefährlichere Gewässer zu lenken.
Ihre Übelkeit hielt Ibrahim und Yousaf vom Schlaf und vom Essen ab, ihre Angst hielt sie in ihrer Kabine fest. Ibrahim redete sich ein, Kapitän Destinow wisse schon, was er tue und sei durchaus bemüht, sein Schiff heil und in einem Stück nach Hause zu bringen. Yousaf andererseits hielt Igor Destinow für einen selbstmörderischen Wahnsinnigen, der sie alle geradewegs in die Hölle steuerte. Er legte sich in seine Koje und zog sich die Decke über den Kopf. Ihm war schleierhaft, wie diese rostige Blechbüchse, die nach einer halben Tonne toten Fisch stank, überhaupt irgendwohin kommen konnte, ohne auf den Grund des Meeres zu sinken. Schweigend, falls er sich nicht übergeben musste, wartete er darauf, dass Gott ihn aus diesem Elend errettete und ihn endlich tot auf dem Meeresgrund absetzte.
Sie fuhren die ganze Nacht hindurch, vorbei an Point Michaud und Cape Gabarus, bevor sie in den frühen Morgenstundenendlich nach Nordosten abdrehten und Glace Bay und Sydney Mines passierten. In der Morgendämmerung befanden sie sich schließlich in den weiten, ruhigeren Gewässern der Cabot Street zwischen Nova Scotia und Neufundland.
Der Kapitän hatte sich noch weiter von der Küste entfernt und stand selbst am Ruder, als er den Kurs um sechs Grad auf drei-sechs-null änderte. Damit steuerten sie geradewegs in den Sankt-Lorenz-Golf, das größte Mündungsgebiet der Welt, in das der gleichnamige Strom mit den Wassern der Großen Seen fließt.
Der nördlichste Punkt von Nova Scotia, Cape North, liegt gut hundert Kilometer von der Südspitze Neufundlands entfernt. 25 Kilometer vor Cape North liegt St. Paul’s Island, unter kanadischen Seeleuten auch als »Friedhof des Sankt Lorenz« bekannt aufgrund der vielen Schiffe, die dort seit Jahrhunderten wegen hohen Seegangs, mächtiger Gezeiten, stürmischer Winde und zerklüfteter Felsen gesunken waren. Kapitän Destinow umfuhr St. Paul’s weiträumig und passierte die Insel fünf Seemeilen backbord querab.
Ibrahim ging es mittlerweile wesentlich besser, sodass er im Lauf des Vormittags mit seinem Handy an Deck ging und versuchte, Verbindung zu seinen Vorgesetzten aufzunehmen. Faisal al-Assad war noch immer nicht zu erreichen, zu seiner Überraschung aber meldete sich Scheich Abdullah in England.
Er war ehrlich erfreut, von Ibrahim zu hören und zu erfahren, dass die beiden Terroristen momentan in Sicherheit waren.
Beide Männer wussten um die Gefahren eines zu langen Telefonats, weshalb sich ihr Austausch auf das Nötigste beschränkte. Scheich Abdullah hatte für Notfälle Ibrahims Handynummer und erfuhr nun, dass sich die beiden Terroristen auf einem russischen Trawler aus Murmansk befanden und gegenwärtig den Sankt-Lorenz-Golf querten.
Ibrahim erklärte, sie würden in drei, vier Tagen in Nuuk anlanden, der Hauptstadt von Grönland und größtem Fischereihafen der Insel. Ihr Kapitän habe geschäftlich dort zu tun. Nach einem 24-stündigen Aufenthalt in Nuuk ginge es weiter zum 1400 Seemeilen entfernten Island, geradewegs über das 3000 Meter tiefe Irmingerbecken, wo im Winter das
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