Lauschangriff - Im Visier der Feinde
ihrem massiven Stahlbug pflügte sich unerbittlich durch die grauen arktiknahen Gewässer. Wenn nötig, hätte sie sogar als ihr eigener Eisbrecher fungieren und sich auf Eisschollen schieben können, damit der schwere Bug mit seinem gewaltigen Gewicht durch das Eis kracht. Die großen Trawler an den südlich gelegenen Häfen der im Winter zugefrorenen Barentssee sind so gebaut, dass sie auch schlimmsten Bedingungen standhalten können. Obwohl sich Yousaf noch immer mehr tot als lebendig fühlte, waren das Schiff und seine Besatzung in sicheren Händen.
Sie hielten weiterhin Kurs 360 bis hoch zur Westküste Neufundlands und zur Belle-Isle-Straße, dem schmalen nördlichen Ausgang aus dem Golf, wo starke Gezeitenströme im Zusammenwirken mit dem Labradorstrom die Schifffahrt sehr gefährlich machen.
Kapitän Destinow sah zum Positionslicht an seiner Backbordseite und überprüfte die Karte. Seit Yarmouth hatten sie 700 Seemeilen zurückgelegt und damit die Hälfte ihrer Fahrt nach Grönland hinter sich. Der stämmige russische Seemann spürte die Meeresdünung, die das Schiff anhob, als sie auf die mitten in der zwölf Seemeilen breiten Straße liegenden Belle Isle zusteuerten.
Er ließ die Insel steuerbords liegen und nahm Kurs auf die offenen Gewässer und die eisige Stille der Labradorsee. Das Meer war hier an seiner tiefsten Stelle 3500 Meter tief; eine Tatsache, über die der seekranke Yousaf sich im Moment wohl lieber keine Gedanken machte.
Aber dort draußen, außerhalb der 200-Meilen-Zone, befand sich die Odessa in internationalen Gewässern und war dem Zugriff der kanadischen Behörden entzogen. Igor Destinow hatte allerdings sowieso nicht die Absicht, auf Fischfang zu gehen.Grönland war sein Ziel, und seine Netze würden trocken bleiben, bis er Vestmannaey vor der isländischen Küste anlief. Außerdem hatte er ja einen Deal mit Ibrahim und seinem kranken Freund geschlossen. Er hatte nicht vor, seine Abmachung zu brechen, war aber dennoch bestrebt, die beiden so schnell wie möglich von seinem Schiff und aus seinem Leben zu schaffen.
So fuhren sie weiter, passierten drei Tage und drei Nächte lang große Kabeljau- und Heilbuttschwärme, bis sie den Hafen von Nuuk erreichten, am Fuß dreier riesiger grönländischer Fjorde und 240 Kilometer südlich des Polarkreises gelegen.
Niemand war da, um sie zu empfangen, was für Ibrahim bedeutete, dass die Amerikaner nicht wussten, wo sie waren. Die Odessa machte an einer Verladepier fest und verlud ihre 50 Tonnen tiefgefrorenen atlantischen Kabeljau auf die Gorki . Sie nahmen Treibstoff auf, und bei Einbruch der Dunkelheit verließen sie den Hafen bereits wieder und schlugen südlichen Kurs ein in Richtung auf das 250 Seemeilen entfernte Kap Farvel an der Südspitze Grönlands.
Von Kap Farvel nach Island waren es noch 1200 Seemeilen, die für Ibrahim noch erfreulicher wurden, nachdem sich bei Yousaf langsam, aber stetig eine Verbesserung seines Gesundheitszustands abzeichnete. »Manchmal gutt, so krank zu sein«, sagte Kapitän Destinow. »Manchmal dann du nie mehr krank.«
»Es ist nicht gut, so krank zu sein«, erwiderte Yousaf. »Nicht manchmal, nie.«
»Undankbarer Halunke«, bellte Destinow und schüttelte sich vor Lachen. »Ich nur Mut machen wollen.«
»Danke, kein Bedarf«, sagte Yousaf. »Das ist meine letzte Seereise. Lieber lebe ich in einer Höhle.«
»He!«, röhrte der Kapitän. »Das Beleidigung für meine Kabine. Ich werfe dich über Bord, undankbarer Halunke!« Darauf kriegte sich Destinow überhaupt nicht mehr ein, er musstesogar das Steuerrad loslassen, um sich mit seinen dicken Seemannshandschuhen die Tränen aus den Augen zu wischen.
»Heute unser letzter Abend«, sagte er. »Ihr trinkt Wodka mit mir. Dann es geht euch viel besser. Sage Koch, er soll Steak grillen für uns. Kann Fisch nicht mehr sehen und riechen.«
Ibrahim hatte während dieses Gesprächs eine russische Zeitschrift durchgeblättert, den letzten Satz aber sehr deutlich vernommen. Es wäre ein ausgezeichneter Zeitpunkt gewesen, Scheich Bazir anzurufen, denn zwischen ihrer jetzigen Position und Bradford waren es nur zwei Stunden Zeitunterschied – dort war es jetzt 17.30 Uhr, und der Mullah dürfte vor dem Abendgebet noch in seinem Büro sein.
Trotz des Sonnenscheins war es auf dem Deck empfindlich kalt. Der Himmel war klar, weshalb Ibrahim davon ausging, dass er eine erstklassige Verbindung nach Yorkshire haben würde. Niemand sonst ließ sich auf dem Deck blicken,
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