Lauschangriff - Im Visier der Feinde
entscheidende Faktoren auf sie zutrafen: 1. war sie äußerst kurz; 2. erfolgte keinerlei Reaktion des Angerufenen; 3. enthielt sie keine persönliche Begrüßung; 4. gab sich keiner der beiden Gesprächspartner zu erkennen; 5. ergab sie keinen Sinn; und 6. wurde auf etwas Bezug genommen – in diesem Fall auf »Steinrinder«.
Sergeant Collins, dessen Großvater aus Pakistan stammte, verstand Paschtunisch, die Sprache, in der die Nachricht übermittelt wurde. Trotzdem benötigte er eine genauere Übersetzung, die er bereits kurz darauf vorliegen hatte. Er wusste mittlerweile, dass der von einem Handy erfolgte Anruf seinen Ausgangspunkt ungefähr 80 Kilometer westlich von Peshawar hatte, irgendwo in Afghanistan.
Daraufhin meldete er sich bei einem zweiten britischen Horchposten in Großbritannien, der die dem Anruf entsprechende Frequenzlinie ebenfalls verfolgen sollte. Es stellte sich heraus, dass die beiden Linien sich in der Stadt Bradford in West Yorkshire schnitten – höchstwahrscheinlich im Stadtzentrum, näher sei es nicht zu bestimmen.
Sergeant Collins meldete dies sofort seinem diensthabenden Captain. Dieser teilte die Auffassung, dass es sich um eine ungewöhnliche Nachricht handelte, und gab den Text zur detaillierten Auswertung weiter an das Government Communications Headquarter (GCHQ) in Cheltenham, Gloucestershire.
Das GCHQ war die Perle der britischen Geheimdienste und verschlang jedes Jahr 1,5 Milliarden Dollar. Die NSA in Maryland teilte nur allzu gern seine sämtlichen Informationen mit Cheltenham, wo 4000 Mitarbeiter in bombensicheren Büros unter einem mit Panzerplatten verstärkten Dach arbeiteten. Es war ein großes kreisförmiges Gebäude mit einem runden Innenhof in der Mitte. Man nannte es »den Donut«.
Nach nicht einmal fünf Minuten hatte das GCHQ seine Analyse erstellt. Die Computersysteme hatten mehrere Milliarden Rechenschritte vollzogen und waren zu der Schlussfolgerung gekommen, dass es sich nicht um einen Code handelte, sondern um verschleierte Sprache mit militärischen Konnotationen.
Wie immer schloss sich die kritische Frage an: Hatte die JSSU auf Zypern soeben eine Nachricht aus dem El-Kaida-Kommandohauptquartier aufgeschnappt? Und kam ihr so entscheidende Bedeutung zu wie bei ihrem größten Triumph vor Jahren, als sie Bin Laden und seine Henker im Hindukusch abgehört hatten?
Auch hier handelte es sich um einen Anruf aus dem Hindukusch. Das GCHQ konnte natürlich nichts über Motiv, Urheber und Empfänger der Nachricht aussagen, über die Bedeutung des von Sergeant Collins aufgezeichneten Signals aber gab es nicht die geringsten Zweifel.
Kurz vor Mittag leiteten sie die Nachricht an die National Security Agency in Fort Meade, Maryland, weiter – an Commander James Ramshawe, dem sie als vertraulich zugestellt wurde.
Shakir Khans Meldung war abgefangen worden.
K APITEL F ÜNF
Ramshawe starrte auf die unverständliche Nachricht, die als »verschleierte Sprache« bezeichnet wurde.
»Peshawar«, murmelte er. »Das Tor zum Land der Durchgeknallten.« Also, wohin zum Teufel ging das Telefonat? Nach Bradford, England, wo mehr von diesen verdammten Muslimen leben als in Mekka.
Jimmy las zum wiederholten Mal die Nachricht: Die Auserwählten sollen vor dem Propheten in Hanfia knien. Gesegnet sei Allah, der ihnen Schutz gewährt bei den Steinrindern RV.
»Also, was in Gottes Namen soll das bedeuten?«, sprach er in sein leeres Büro hinein. »Hanfia? Was ist das? Und wer oder was ist RV? Ravi Vindaloo? Oder soll das für Rendezvous stehen, ein militärisches Rendezvous? Weiß der Kuckuck, was das soll, genau wie die bescheuerten Stein-Rindviecher.«
Die britischen Nachrichtenleute meinten, das Wort »Schutz« sei militärisch konnotiert, und RV würde für »Rendezvous« stehen. Wäre es eine Art Unterschrift, hätte nach dem Wort »Steinrindern« ein Punkt folgen sollen. Konnte natürlich ein Fehler sein. Aber der Sender hatte mit den anderen beiden Punkten – einmal hinter »Hanfia«, ein zweites Mal am Schluss – auch keinen Fehler begangen. Und es gab keine Begrüßung oder persönliche Ansprache.
Jimmy recherchierte »Hanfia« und fand heraus, dass es mitten im Pandschab – wo ebenfalls an die 80 Millionen Pakistani lebten – eine Begräbnisstätte dieses Namens gab. Das Problem schien mehr oder weniger unlösbar zu sein. Aber Rätsel wie diese hatten es dem jungen NSA-Direktor angetan, und so kreisten seine Gedanken weiterhin um die »Auserwählten« und ihren
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