Lauter reizende Menschen
dem der Mord geschah. Also müssen Sie das Bild an jenem Tage gemalt haben!«
»Nein, nein! Ich bin an dem Tage überhaupt nicht oben gewesen! Ich bin mit dem Bus in die Stadt gefahren!«
Dies war der Augenblick, den Rosie für ihr Eingreifen bestimmte. Laute Stimmen konnte sie nicht ausstehen, und Carmen kreischte gellend. Zweifellos war da etwas nicht in Ordnung, und noch ganz hingerissen von ihrem Erfolg als Wachhund, spürte Rosie die heilige Verpflichtung, um jeden Preis Frieden zwischen diesen Leuten, die sämtlich ihre Freunde waren, zu stiften. So sprang sie auf die streitende Gruppe zu, taumelte gegen diesen und jenen, wurde von Ross unsanft beiseite gedrängt und landete hart am Fuß der Staffelei mit Aloysius Mills’ berühmtem Bild.
Sie schwankte, und krachend fiel das Gemälde zu Boden. Klirrend barsten Scheibe und Rahmen, und die Splitter umgaben den kläglichen Rest des Bildes zu Carmens Füßen. Hart entrang sie sich Ross’ Griff und ließ sich neben dem zerstörten Bild zu Boden sinken, wimmernd wie ein verwundetes Tier, während sie versuchte, die einzelnen Glasscherben wieder einzusammeln.
»Mein schönes Bild. Zerbrochen. Verdorben. Großvaters herrliches Aquarell!«
Sie ließ die Scherben fallen, schlug beide Hände vors Gesicht, und ihre Schultern zuckten unter haltlosem Schluchzen. Nach einer Weile schwieg sie, qualvoll still wurde es im Zimmer, und endlich hob Carmen Mills ihr nasses, verheultes Gesicht hoch... Unvermittelt ließ ihre gellende Stimme alle Anwesenden zusammenfahren.
»Es war mein Großvater! Wer kann wagen zu behaupten, daß er es nicht war? Wer kann wagen zu behaupten, ich hätte nicht sein Blut und sein Genie geerbt... und ich sei ein elendes, namenloses Wesen?«
Niemand sagte etwas. Fassungslos, keines Wortes mächtig, saß Augusta in ihrem Sessel, mit halboffenem Munde. Lucia und Annabel wandten sich erschüttert ab, um dieses armselige Wesen nicht mehr ansehen zu müssen, das wirres, völlig unverständliches Zeug schwatzte. Unbehaglich trat Jim von einem Fuß auf den andern... Nur Philipp Ross wußte, was er tat. Er stand neben der Alten, die Tasse in der Hand, aufmerksam auf Posten — wenngleich ein wenig beschämt, weil er einen Mitmenschen in solcher Erniedrigung erleben mußte. Nur Len schien zu verstehen, was sie überhaupt meinte, denn er schüttelte betrübt den Kopf und murmelte: »Aber hier wußte doch niemand etwas davon!«
Offenbar drangen die Worte an Carmens Ohr, denn plötzlich kreischte sie: »Er hat es gewußt! Er hat mir gesagt, ich sei unehelich, ich hätte keinen Tropfen von Großvaters Blut in mir. Und er drohte, es allen weiterzusagen, so daß alle mich auslachen und höhnisch den Finger auf mich richten könnten!« Mit glänzenden Augen blickte sie in die Runde.
Neues Schweigen trat ein. Jim schaute Ross an, und der Kriminalbeamte nickte. Dann stellte er die Tasse vorsichtig auf den Tisch, beugte sich zu Carmen hinunter und half ihr sanft auf die Beine. Aber ehe man sie fortführen konnte, überstürzten sich ihre Worte von neuem: »Ich habe ihm Geld gegeben. Immer mehr Geld habe ich geopfert. Ich habe gehungert, um es ihm geben zu können. Alles, was ich hatte, habe ich ihm gegeben, und er wollte immer noch mehr. Ach, ich bin froh, daß ich ihn getötet habe; ich bin froh, daß er in den Flammen umgekommen ist und nun nicht mehr lügen kann! Und diese Frau, die so überheblich tat. Auch sie wollte ich umbringen. Sie war ja eine Spionin, und Spionen gebührt der Tod. Deshalb habe ich ihr die Tasse meines Großvaters gegeben und Pflanzengift in den Tee getan!«
Ein Keuchen folgte, und dann ein dumpfer Schlag, der das ganze Zimmerchen wanken ließ. Augusta hatte das einzig Mögliche getan: Sie war ohnmächtig geworden und zu Boden gesunken.
FÜNFZEHNTES KAPITEL
Am folgenden Tage saßen sie alle in Lucias Häuschen beisammen: Jim und Annabel, Mrs. Wharton, Len, Lucia und Philipp Ross. Plötzlich verkündete Len: »Aber ich habe schon immer über Carmen Bescheid gewußt. Ich hätte Ihnen alles erzählen können, wenn Sie mich nur gefragt hätten. Tatsächlich war es nicht ihr wirklicher Großvater. Denn sie war ja ein uneheliches Kind. Der spätere Ehemann der Mutter adoptierte sie dann. Aber die Leute oben im Norden, woher auch ich stamme, wußten alles. Das war wohl auch der Grund, weshalb Carmen hierher zog: Sie hoffte, daß hier niemand etwas davon ahnte.«
»Kam sie denn nie auf den Gedanken, Sie könnten etwas davon wissen,
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