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Lauter reizende Menschen

Lauter reizende Menschen

Titel: Lauter reizende Menschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Scott - Joyce West
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habe sich des Falles angenommen, und sicherlich würde der Fall bald geklärt sein. Kein Wort des Mitgefühls galt den Angehörigen des Toten: Bisher hatte die Polizei weder Verwandte noch Freunde ausfindig machen können. Man wußte so gut wie nichts von dem Manne.
    Wie nüchtern das alles klang! Niemand, der den Tod des einsamen Mannes bedauerte; niemand, dem wirklich daran lag, daß der Mörder gefaßt wurde... Sofort aber schüttelte Lucia den Kopf:
    Doch, jemandem lag daran — der Polizei! Die Beamten wollten es nicht zulassen, daß ein Verbrechen ungesühnt blieb, und deshalb würden sie allen Scharfsinn aufbieten, den Täter zu überführen. Genau so würde es kommen, wie Annabel prophezeit hatte: Jeder würde verdächtigt werden, alle gelöste, unbeschwerte Fröhlichkeit würde zerstört werden, und die friedliche, >langweilig gesetzestreue< Gegend würde von Polizisten wimmeln! Es war nicht auszudenken; alle Freude war dahin! Einen Augenblick lang dachte Lucia voller Sehnsucht an ihr Zuhause zurück, an die wohltuende Sicherheit in den Straßen der Stadt und an das langweilige, ordentliche Leben, das sie geführt hatte.
    Aber das dauerte nur einen Augenblick. Die muffige Atmosphäre würde doch einmal zerstieben. Ganz bestimmt war der Mörder schon über alle Berge; man würde ihn aufspüren, irgendwo weit entfernt, und das Leben an der Tankstelle würde wieder in gewohnten Bahnen dahinrollen... Lucia stand auf, schob den Vorhang beiseite und schaute auf das stille Wasser des Sees hinaus.
    Genauso hatte sie geschaut, nachdem das Erdbeben sie neulich nachts geweckt hatte. Jetzt war es wieder so dunkel wie damals, und schwach schimmerte der See im Schein der Sterne. Schweigend und tiefschwarz dehnte sich der Wald ringsum. Und doch war heute alles ganz anders — die Szene war nicht mehr freundlich, nicht mehr friedlich...
    Schaudernd ließ Lucia den Vorhang sinken.
    Plötzlich zuckte das Mädchen zusammen: Schritte kamen zur Tür, und schon klopfte es leise. Lucia zauderte, lauschte bewegungslos — und ärgerte sich, daß kalte Angst nach ihrem Herzen packte. »Rosie!« murmelte sie, und sofort stand der große Hund auf, schüttelte sich den Schlaf aus den Gliedern und barg seine Nase in ihrer Hand. Fast hätte Lucia loslachen mögen. »Du Dummkopf!« schalt sie gutmütig. »Ich wollte dich nicht streicheln! Vielmehr sollst du beweisen, daß du ein Wachhund bist: Es ist jemand draußen!«
    Aber Rosie bekundete auch weiterhin nichts als uneingeschränkte Freude, indem sie lebhaft mit dem Stummelschwanz wedelte. Ihre Ruhe steckte Lucia an, verlieh auch ihr neue Zuversicht. Sie benahm sich wirklich kindisch! Ein Mörder klopfte — so dicht am Schauplatz obendrein! — doch nicht einfach an die Tür! Eilig lief Lucia aufmachen.
    Auf der Schwelle stand der große, ruhige Mann, den Lucia heute bei Jim kennengelernt hatte.
    »Ach, Sie sind es, Inspektor... Inspektor Wright! Kommen Sie doch herein!« Man hörte ihr an, welch großer Stein ihr vom Herzen fiel. Und fast gleichzeitig dachte sie: >Nun fängt es also an! Polizeiverhör; jeder wird verdächtigt! Es ist fürchterlich<.
    Aber nichts an Inspektor Wrights Verhalten ließ auf Feindseligkeit oder Überheblichkeit schließen. In aller Ruhe begann er: »Entschuldigen Sie die Störung... Aha, Sie haben einen Hund? Ausgezeichnet. Sonst wären Sie hier ja auch recht allein.«
    Rosie entging es nicht, daß von ihr die Rede war, und begeistert überschüttete sie den Besucher mit ungestümen Beweisen ihrer Zuneigung. Lucia und Wright tauschten ein Lächeln.
    »Ein ausgesprochener Wachhund ist sie nicht gerade!« entschuldigte Lucia das Tier. »Zurück, Rosie!« Beinahe hatte Rosie es geschafft, den Fremden unter ihren Liebkosungen taumeln zu lassen. »Sie ist schrecklich schwer! Passen Sie auf, daß sie Sie nicht anspringt!«
    Die Warnung kam zu spät. Rosie, die nie zu Halbheiten neigte, war nun felsenfest überzeugt davon, einen neuen Freund gewonnen zu haben, und stürmisch fiel sie ihm um den Hals. Aber lachend fing Wright die beiden Vorderpfoten auf und hielt sie fest. »Schon gut! Du merkst wohl, daß ich ein Hundefreund bin! Sei brav! Herzlichen Dank für den Willkomm!«
    Lucia gewann den Eindruck, daß Rosies Begrüßung besser gelang als ihre eigene; entschlossen riß sie sich zusammen. »Nehmen Sie doch Platz! Darf ich Ihnen eine Tasse Tee anbieten? Meiner ist mir kalt geworden, und ich wollte ohnehin gerade frischen aufbrühen.«
    Wenige Minuten später

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