Lauter reizende Menschen
nicht gerade selten; Mick hatte sie sicherlich aus den Augen verloren und dachte deshalb, der Unfall habe ihn von seiner Fessel befreit. Der arme Kerl!«
»Das ist der richtige Ausdruck: Der arme Kerl! Natürlich hätte er sich genau erkundigen müssen, aber einen schweren Vorwurf kann man ihm bestimmt nicht machen. Tatsache bleibt jedoch, daß er mit der zweiten Ehe Bigamie beging und daß deshalb die zweite Ehe nicht gültig ist.«
»Und nun meinen Sie, Davis sei irgendwie dahintergekommen und habe Kelly erpreßt?«
»Allerdings. Aber natürlich ist das nichts als Theorie. Fest steht jedoch, daß Kelly ein Geheimnis zu verbergen hatte, und ich kann mir vorstellen, daß er manches tun würde, die Frau, die wir neulich kennengelernt haben, zu schützen — und sie oder jemand anderen daran zu hindern, die Wahrheit herauszufinden. Das Groteske daran ist, daß gar kein Anlaß bestand, sich erpressen zu lassen — oder den Erpresser zum Schweigen zu bringen, falls er es wirklich getan haben sollte. Die Judith Kelly, die er geheiratet hatte und die sich später wieder Judith Sims nannte, ist tatsächlich vor zwei Jahren gestorben. Kelly brauchte also nichts weiter zu tun, als seiner zweiten Frau die Wahrheit zu sagen und die Verbindung zu legalisieren.«
»Aber davon wußte er wohl nichts?«
»Vom Tode der Frau kann er nichts gewußt haben. Hätte er sonst Davis Schweigegeld bezahlt?«
»Es hat ihn wirklich schwer erwischt. Trotzdem kann ich mir einfach nicht vorstellen, daß der gute Mick etwas mit dem Mord zu tun hat. Er ist ganz und gar nicht der Typ!«
»Gibt es einen Typ des Mörders? Ich selbst möchte den kennenlernen, der diesen Typ verkörpert, obwohl ich schon mehr Mörder verhaftet habe, als mir lieb ist. Ob Kelly nun den Mord beging oder nicht: in jedem Fall müssen wir ihn auf die Liste der Verdächtigen setzen.«
»Eine Liste? Haben Sie es schon zu einer ganzen Liste gebracht?«
»Nun, sehr lang ist sie noch nicht. Aber jedenfalls stellen wir Untersuchungen über jeden an, der hier ansässig ist. Was wissen Sie, Jim, von den Leuten vom Campingplatz?«
»Die Besitzer meinen Sie? George Owens und Nigel Howard? Mein Gott, die werden Sie doch nicht auf Ihre Liste setzen wollen? Die beiden kommen ja noch weniger in Frage als Kelly.«
»Das mag sein. Dennoch wäre ich froh, wenn Sie mir etwas über sie sagen könnten.«
»Ich weiß wahrhaftig nichts. Ich kenne sie erst, seit ich hier oben bin. Als ich den Posten annahm, sagte mir Purdy, ganz in der Nähe wäre ein Ferienlager, wo Annabel vermutlich wohnen könne. Ich besuchte die beiden also, als ich zum erstenmal die Stallungen hier oben besichtigte, ehe ich mich endgültig entschied. Sie gefielen mir auf den ersten Blick. Sie waren keineswegs begeistert von dem Gedanken, außerhalb der Saison eine Frau mit zwei kleinen Kindern aufzunehmen, aber sie hatten doch Verständnis für meine Lage und begriffen, daß hier oben beim besten Willen kein Platz war. Ja, sie sind wirklich grundanständige Burschen. Jedenfalls gewann ich damals diesen Eindruck, und ich habe bisher keinerlei Anlaß gesehen, ihn zu korrigieren.«
Seine Worte hatten ein wenig vorwurfsvoll geklungen, und Ross seufzte auf. Sogar Jim schien trotz seiner Erfahrungen nicht in der Lage, seine persönlichen Gefühle hintanzustellen und in jedem, der irgendwie Beziehungen zu der hiesigen Gegend hatte, einen Verdächtigen zu sehen. »Ich bin ganz Ihrer Meinung«, murmelte er. »Aber...«
»Was aber? Haben die beiden etwa eine zweifelhafte Vergangenheit? Ich kenne George als schweigsamen Menschen, still und vielleicht sogar etwas verschlossen, nicht so frank und frei jedenfalls wie Nigel Howard. Aber trotzdem möchte ich meine Hand für ihn ins Feuer legen. Er ist grundanständig.«
»Unter >anständig< verstehen nicht alle Leute genau dasselbe. Jemand, der zum Beispiel nicht im Traum daran denken würde, seinen Nachbarn zu betrügen, betrügt den Staat bei jeder denkbaren Gelegenheit — und ist noch stolz darauf!«
»Bei der Steuererklärung und so, meinen Sie?«
»Bei der Steuer, jawohl. Und beim Schmuggeln! Viele Leute schaffen mit größtem Vergnügen etwas über die Grenze, ohne Zoll zu zahlen; so schlimm wie heute scheint es in dieser Hinsicht noch nie gewesen zu sein: Transistorradios, Uhren, Rauschgift, alles kann man mit Hilfe von Seeleuten hereinschmuggeln und ein Heidengeld am Weiterverkauf verdienen.«
»Ich möchte darauf schwören, daß Nigel oder George niemals etwas so
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