Lautlos wandert der Schatten
auf das Seelenheil; viele
Legenden und Wundergeschichten entwickelten sich aus diesem verständlichen
Wunsch und bestärkten die Müdegewordenen. Es gab Pilger, die stellvertretend
für andere, für Reiche und Geldgeber, unterwegs waren, solche, die sich aus
finanziellen und wirtschaftlichen Nöten aufgemacht hatten oder ihren
eigentlichen Aufgaben davonliefen. So der Erzbischof von Lyon, der 1095 durch
die Wallfahrt einem Konzil aus dem Wege gehen wollte, wie auch ein Schneider
aus dem Rheinland auf der Flucht vor seinen Gläubigern. Wir haben Berichte von
Wanderern, die durch das fremde Land, seit es durch die Reconquista wieder
offenstand, angezogen wurden wie Abenteurer, oder sich nach neuen
Handelsmöglichkeiten umsehen wollten. Sie alle trafen sich unterwegs, tauschten
sich aus, lernten voneinander, unterstützten sich und trennten sich wieder.
Jeder mußte selbst weitergehen, jeder mußte am Ende bei sich selber ankommen.
Das war auch unsere Erfahrung. Jeder war auf dem Jakobusweg für sich allein;
auch wenn sich am Abend in der Gité oder im Refugio die Pilger eines Tages
zusammenfanden und sich austauschten, der neue Morgen sah sie auf ihrem Weg,
als wären sie die einzigen, die das große Ziel suchten.
Ein
ganzes Netzwerk von Wegen und Straßen führte durch Europa in der großen
Hauptrichtung von Osten nach Westen; ungewöhnlich, weil die großen
Handelsverbindungen nach Süden und Norden gerichtet waren. Die vielen Pilger
schufen sich im Laufe der Generationen ihre eigenen Verbindungen; die kleinen
Äste mündeten in Pilgerstraßen und endlich in Hauptwege. Erste
Übernachtungsmöglichkeiten gab es in Kirchen; später in eigenen Pilgerunterkünften
und Hospizen. Schließlich hatten sich vier Hauptschlagadern des Jakobusweges
herausgebildet, die sich auf spanischem Boden zum Camino zusammenfügten.
Daneben gab es noch einen Weg an der Nordküste Spaniens entlang; ihn benutzte
einst Franz von Assisi.
Treffpunkt
der Pilger, die über den Ärmelkanal und aus dem Norden Europas kamen, waren die
Städte Tours (hier wurde im Jahre 371 Martin, einer der bekanntesten
europäischen Heiligen zum Bischof gewählt) und Vezelay bei Paris. Die
Niederländer und die Deutschen, sowie die Landsmannschaften aus dem Osten
bevorzugten Le Puy, das entweder über Trier und Dijon, oder über Straßburg,
Genf und Lyon erreicht wurde. Die Wallfahrer aus dem Süden fanden sich in Arles
zusammen und wählten die Route über den Somportpaß nach Spanien. Die ersten
drei Wege vereinten sich noch diesseits der Pyrenäen bei Ostabat und
überquerten dann gemeinsam an einer günstigen Stelle das mäßig hohe Gebirge bei
Saint-Jean-Pied-de-Port.
Bei
Puente la Reina kamen dann alle Pilgerströme zusammen. Vereint ging es über die
berühmte Brücke des wichtigen Zielortes weiter. Wer es bis Puente la Reina
geschafft hatte, entwickelte neue Hoffnung und neue Kraft. Die männliche Figur
des Apostels in der Kirche des Heiligen, dargestellt als Pilger mit Mantel,
Stab, Kürbisflasche und Pilgerhut und ausgezeichnet mit der Muschel, dem
Zeichen der Wallfahrt, gab den Menschen, die schon viele Monate unterwegs
waren, hier neue Kraft und Zuversicht.
Im
letzten waren die Pilger frei, ihren Weg zu wählen. In der Hochblüte der
Pilgerfahrt waren die Hauptstrecken so überlaufen, daß es ratsam war, abseits
der Route vorwärts zu kommen. Manch einer suchte so seinen eigenen Weg und
fragte sich von Ort zu Ort, oft unter großen Umwegen, durch bis nach Santiago.
Manche kamen nie beim Apostel an; sie sind unterwegs verschollen. Der Weg hatte
sie verschlungen. Andere hatten aufgegeben und waren seßhaft geworden. So waren
lange Zeit an den Rändern des Weges Namen aus aller Herren Länder nachweisbar.
Gute
Landkarten waren rar; gelegentlich konnte man auf schriftliche Berichte von
Pilgern zurückgreifen, die die Wallfahrt bereits gemacht hatten. Als Wegweiser
dienten Kreuze und Steinmale; oft auch Wunderberichte und Pilgergeschichten,
die fest mit bestimmten Orten und Wegstrecken verbunden waren; daran ließ sich
auch feststellen, ob man auf dem rechten Weg war. Die großen Pilgerwege hatten
mancherlei Vorteile. Sie boten den Pilgern Schutz und Unterkunft, es fehlte auf
den Tagesetappen bald nicht an Hospizen und Hospitälern; selbst Friedhöfe,
meist unter dem Schutz des hl. Michael, waren angelegt. Nicht immer waren die
Pilger gerne gesehen; wenn sie in großen Scharen einfielen, konnten sie für die
oft sehr armen
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