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Lautlos

Lautlos

Titel: Lautlos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schätzing
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denn je. Er wagte sich nicht auszumalen, was sie mit ihm tun würden. Oder was sie mit Wagner getan hatten. Und mit Liam O'Connor.
    Ein schreckliches Gefühl der Verlassenheit überkam ihn.
    Er begann zu schluchzen.
    Die Tür öffnete sich wieder. Eine Frau kam zu ihm herüber.
    »Wie dumm«, sagte sie.
    Ihre Stimme klang weich und dunkel. Ihr Deutsch wies einen kaum merklichen Akzent auf. Im ersten Moment vermutete Kuhn, sie sei Italienerin, dann war er sich dessen nicht so sicher.
    »Werden … Sie mich töten?«, fragte er.
    Wie larmoyant er klang in der Leere der Halle. Plötzlich empfand er Scham. Es war lächerlich. Vielleicht würde sie ihn töten, und er schämte sich seiner Angst, weil sie eine Frau war.
    Sie sah ihn aus dunklen Augen an. Auf unbestimmte Art war sie hübsch, wenngleich ihre Züge etwas Maskenhaftes hatten. Einzig ihr Blick war von irritierender Intensität.
    »Es kommt darauf an«, sagte sie.
    »Worauf?«
    »Sie müssen keine Angst haben. Wir töten nicht wahllos Menschen. Wir suchen sie sehr genau aus.« Sie machte eine Pause und ließ die Worte wirken. Dann sagte sie: »Wenn Sie es schaffen, bis morgen Abend plausibel von der Bildfläche verschwunden zu bleiben, so dass keiner Ihrer Freunde einen Verdacht schöpft oder zur Polizei geht, sind Sie übermorgen frei. Das ist der Handel.«
    In Kuhn regte sich Hoffnung. Was die Frau sagte, klang zumindest, als seien Kika und O'Connor nicht in unmittelbarer Gefahr.
    »Ich werde dafür sorgen«, versprach er atemlos.
    Sie senkte leicht den Kopf. Dann kam sie näher heran, ergriff sein Kinn und drückte seine Wangen zusammen. »Ich akzeptiere keine Fehler, keine Pannen und keine Probleme. Das sollten Sie wissen. Wenn Sie Ihre Sache gut machen, werden Sie leben.«
    Sie ließ ihn los. Kuhn schluckte und lehnte sich erschöpft gegen die Wand.
    »Ich werde alles tun«, murmelte er schwach.
    »Sofern das reicht«, erwiderte sie.
    Die Frau hielt einige Sekunden wortlos den Blick auf ihn geheftet. Dann drehte sie sich von ihm weg und verschwand wieder hinter dem Pritschenwagen.
    Nach wenigen Minuten kehrte der Slawe zurück. Erneut fragte er Kuhn nach sämtlichen Einzelheiten seines Aufenthalts in Köln aus, nach O'Connor, nach Wagner. Dann gab er ihm eine Reihe von Instruktionen. Schließlich ließ er ihn wieder allein.
    Längere Zeit saß Kuhn teilnahmslos auf dem Boden und starrte vor sich hin. Niemand kam, um sich mit ihm zu beschäftigen. Er wartete, ohne zu wissen, auf was, und das war überhaupt das Schlimmste von allem.
    Sein Handy klingelte.
    Der Slawe kam herbeigelaufen und legte viel sagend die Hand auf die Herzgegend. Was immer es heißen sollte, ob er dort die Waffe trug, die Kuhn notfalls auf der Stelle exekutieren würde, oder ob er andeuten wollte, wo die Kugel eindringen würde, der Lektor machte keinen Fehler. Er sagte, was sie ihm aufgetragen hatten, und er machte es gut genug, dass ein Lächeln die kantigen Züge des anderen überzog.
    Kuhn schaffte es, zurückzulächeln.
    »Ich will leben«, sagte er.
    Der Mann nickte.
    »Das wollen wir alle.«
    Die SMS. Der Hauch einer Chance.
    Und noch etwas. Möglicherweise.
    Der Slawe hatte nicht mitbekommen, dass Kuhn zwei versteckte Hinweise in das Gespräch mit eingeflochten hatte. Sie waren so dezent ausgefallen, dass er sich sorgte, ob Wagner sie überhaupt mitbekommen hatte. Aber deutlicher zu werden, hatte er sich nicht getraut, und ganz sicher wäre es eine schlechte Idee gewesen, weil vermutlich seine letzte.
    Jedenfalls, dachte er, bin ich nun in der beneidenswerten Situation, zu wissen, dass es eine Verschwörung gibt. Ich weiß es definitiv. Ich weiß sogar, dass es am Flughafen passieren wird.
    Im selben Moment wusste er, auf wen sie es abgesehen hatten.
    Nein, sie werden mich nicht töten, dachte er bitter. Nicht so bald. Möglicherweise nicht vor morgen Abend.
    Bis dahin musste ein Wunder geschehen.
    Egal, wer es vollbrachte.
COMPUTERRAUM
    Mirko ging zurück in den Raum, den sie zur Zentrale umgebaut hatten, und wartete. Seine Lider sanken halb herab, sein Denken schaltete auf eine Art Notstromaggregat. Er schlief selten, zu manchen Zeiten mehrere Nächte nicht. Die Trance war seine Art, Körper und Geist zu regenerieren. Zehn Minuten Trance waren effizienter als drei Stunden Schlaf.
    Nach einer Weile trat Jana neben ihn, eine Tasse frisch gebrühten Kaffee in der Hand.
    Mirko betrachtete sie von der Seite. Befriedigt registrierte er, dass Jana trotz der unvorhergesehenen Ereignisse

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