Lautlos
»Es wäre doch möglich, dass Sie das Geld für gewisse Zwecke verwenden, die Ihrem eigentlichen Interesse näher stehen als dieser Job. Abgesehen davon, dass Sie vielen Ihres Volkes allein schon mit der Erledigung dieser Aufgabe einen beispiellosen Dienst erweisen. Sie selbst mögen daran zweifeln, aber ein großer Sieg wäre es trotzdem.«
»Wessen Sieg?«
»Ein Sieg der Serben. Des serbischen Volkes.«
»Ja, wir Serben schaffen es immer wieder, aus jeder Niederlage einen Sieg zu machen. Glauben Sie ernsthaft, wir erweisen dem serbischen Volk einen Dienst?«
Mirko zögerte. »Der serbischen Sache, ja.«
»Der Sache.« Jana runzelte die Stirn. Dann schüttelte sie langsam den Kopf. »Es ist seltsam, nicht wahr? Offenbar gibt es jenseits aller persönlichen Schicksale immer auch eine nationale Sache. Früher habe ich das nicht begriffen. Wissen Sie, Mirko, am Ende meines Werdegangs finde ich mich auf abstraktem Terrain wieder. Zu Beginn habe ich für Menschen gekämpft. Das war in Ordnung. Über die Art und Weise kann man unterschiedlicher Ansicht sein, aber solange ich wusste, was ein Menschenleben wert ist, das ich retten will, war mir auch bewusst, wie ungeheuerlich es ist, ein anderes dafür zu opfern. Mir war nur nicht klar, dass es eine Absprache auf höherer Ebene gibt, wonach man Menschen in den Tod schicken kann, um ihrer Sache zu dienen. Vielleicht mangelt es mir an staatsmännischer Perspektive, aber mir ist nie recht klar geworden, was diese Sache eigentlich ist. Wo kann man sie finden? Wie sieht sie aus? Wo lebt sie? Milošević hat vor zehn Jahren noch vom serbischen Volk gesprochen. Neuerdings ist es die serbische Sache. Es gibt auch eine albanische Sache. Wer immer gerade an der Macht ist, definiert die Sache in seinem jeweils ureigensten Sinne. Gegen Serbien steht die Sache des Westens und der Nato, nicht zu vergessen die Sache der Menschen allgemein. Irgendwie wird nur noch um Sachen gekämpft.«
Mirko schwieg.
»Sehen Sie«, fuhr Jana fort, »ich kannte ein paar Menschen, Krajina-Serben, die umgekommen sind. Sie sind den Kroaten zum Opfer gefallen – nein, der kroatischen Sache, muss es ja wohl heißen. Damals war es jedenfalls die kroatische. Ich habe das einigermaßen persönlich genommen. Es schien mir der endgültige Beweis dafür, dass Milošević '89 Recht hatte, als er die Serben auf dem Kosovo Polje als Opfer einer sechshundert Jahre andauernden Tragödie darstellte, voller Zwietracht, Unterdrückung und Verrat. Ich war zu dieser Zeit mit jeder Faser Patriotin. Nach meinen Erfahrungen mit der kroatischen Sache dachte ich, was den Flüchtlingen aus der Krajina passiert ist, darf sich nie wiederholen. Aber es schien sich zu wiederholen. Im Kosovo. Also habe ich dort stellvertretend für die serbische Sache gekämpft, obwohl meine Sache streng genommen nur das Ableben einiger Menschen war.«
»Sie haben an etwas geglaubt. Was ist daran falsch?«
»Nichts. Nur als ich begriffen hatte, dass Milošević und selbst den serbischen Oppositionellen die Gräber ihrer Vorfahren im Kosovo wichtiger sind als die Menschen, die heute dort leben, verlor ich das erste Mal den Glauben. Als Slobo vor zwei Wochen die Waffen streckte, verlor ich ihn das zweite Mal. Sie werden feststellen, Mirko, dass die humanitäre Katastrophe im Kosovo ihren Fortgang nehmen wird. Die Albaner werden zurückkehren, und sie werden den Spieß umdrehen und die Serben jagen, foltern, ausplündern und töten. Slobo hat uns einen Bärendienst erwiesen, aber er ist Politiker. Er kann sich immer noch auf die Sache zurückziehen. Die Tragödie geht also in die zweite Runde, und die Welt wird diesmal nicht mehr so genau hinschauen. Wir sind ja die Bösen, und nach dem Frieden von Köln sind alle Werte wieder ins rechte Lot gerückt. Sollten diesmal die Serben aus dem Kosovo fliehen müssen und ihrer Habseligkeiten oder ihres Lebens beraubt werden, wird es keine zweite Intervention geben. Das hat Milošević in Kauf genommen. Dafür verachte ich ihn.«
»Sie haben ihn einmal bewundert.«
»Ich habe seine Entschlossenheit bewundert, den Serben zurückzugeben, was ihnen zusteht. Auch, dass er bereit war, es mit jedem dafür aufzunehmen. So etwas geht nicht ohne Kampf ab, das war uns allen klar. Aber ich kann keinen Schlächter bewundern, Mirko. Attentate sind Symbole. Völkermord ist Barbarei. Das war Milošević vom ersten Tag an klar. Er hat uns belogen und betrogen. Er hat sogar gewusst, dass er seine eigenen Leute opfern
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