Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Lautlos

Lautlos

Titel: Lautlos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schätzing
Vom Netzwerk:
Gegenüber ging in die Hocke.
    »Immerhin ein Anfang. Weiter also, was ist mit morgen? Wer würde dich vermissen?«
    Kuhn spürte, wie sein Herz stehen blieb.
    »Bitte«, wimmerte er. »Tun Sie mir nichts, ich …«
    »Reg dich nicht auf«, sagte der Slawe beinahe sanft. »Niemand spricht davon, dir etwas zu tun. Übermorgen kann alles vorbei sein, und du hast keine Sorgen mehr.«
    Er blickte Kuhn eine Weile wortlos an. Kuhn konnte die Gedanken hinter seiner Stirn förmlich vorbeiziehen sehen. Dann wies er ihn mit einer Handbewegung an aufzustehen.
    »Geh wieder in die Dusche«, sagte er freundlich.
    Kuhn rappelte sich hoch. Seine Beine versagten fast den Dienst. Zitternd betrat er das Bad, und der Slawe schloss ihn ein weiteres Mal ein. Diesmal kam er schon nach wenigen Minuten zurück.
    »Pass auf, was wir jetzt machen«, sagte er in einem Tonfall, als ginge es darum, gemeinsam eine Party zu planen. »Wir zwei denken uns einen schönen Plan aus. Was meinst du? Für alle Eventualitäten. Zum Beispiel, was du zu sagen hast, wenn deine kleine Maschine hier mit dir sprechen will. Und wo du morgen überall sein wirst, verstehst du? Ich will, dass du gleich in der Frühe deine Leute anrufst und ihnen eine feine Geschichte erzählst, die sie glauben können.«
    Ohne eine Erwiderung abzuwarten, lud er Kuhn einen Packen Zeug auf die Arme, Kleidungsstücke, Papiere, Ordner. Sie verließen die Wohnung. Der Slawe war nicht sonderlich bemüht, leise zu gehen. Kuhn wusste, warum. Verstohlenheit war der schnellste Weg, ertappt zu werden. Brav tappte er vor dem anderen dahin, wohl ahnend, dass jeder Versuch, wegzulaufen, zum Scheitern verurteilt wäre. Sie gingen an Kikas Golf vorbei, und Kuhn versetzte es einen Stich.
    Wo war sie? Wo war O'Connor? Was, um Himmels willen, war mit den beiden passiert?
    Wenige hundert Meter weiter zog ihn der Slawe am Ärmel und wies auf einen Jeep, der unter den Bäumen der Vorgebirgsstraße parkte.
    »Du fährst«, sagte er.
    Die ganze Strecke über hatte der Slawe schweigend neben ihm gesessen. Es gelang Kuhn, nicht gegen Bäume oder über rote Ampeln zu fahren und den Wagen in der Spur zu halten, trotz flatternder Nerven. Seine Gedanken räsonierten zwischen wilder Hoffnung und ultimativer Rückschau. Er sah Szenen seines Lebens an sich vorbeiziehen, Entscheidungswege gabelten sich, suggerierten ihm, er hätte den Verlauf des heutigen Abends vermeiden können, endeten im Leeren. Sie hatten den Rhein überquert und waren schließlich in ein kleines Industriegebiet gelangt, vorbei an Baracken, Bürogebäuden, Ladeflächen und Parkplätzen. Der Innenhof, in den sie schließlich einbogen, schien einer Spedition zu gehören. Kuhn konnte im Dunkeln die massigen Silhouetten mehrerer Lastwagen erkennen. Der Slawe bedeutete ihm zu halten und auszusteigen. Sie gingen hinüber zu einer Halle und traten ein.
    Neonröhren spendeten kaltes Licht. In der Mitte ruhte ein riesiger Kasten auf einer Art Achswagen. Im ersten Moment glaubte Kuhn, einen Lkw-Anhänger vor sich zu haben, so groß war das Gebilde, nur dass die Räder quer gestellt waren und auf Schienen ruhten. Aus einer der Seiten liefen Kabel und verschwanden in zwei klotzigen Gebilden. Nichts davon kam Kuhn bekannt vor. Wie alle Intellektuellen bewohnte er den Olymp des Wissens, von dessen Warte die Sicht auf die praktischen Dinge des Lebens eher vernebelt war. Er sah weitere Dinge, ein silbriges Dreibein und eine Schaltkonsole auf einem Sockel. Seine Neugier überwand die Mauer aus Furcht, aber er traute sich nicht, Fragen zu stellen. Und eigentlich wollte er es auch nicht wissen. Er wollte gar nichts wissen. Jedes Buch, jeder Fernsehkrimi lehrte einen, was es nach sich ziehen konnte, wenn man zu viel wusste.
    »Geh da rüber.«
    Der Slawe bugsierte ihn zu einer der Wände. Dünne Stahlrohre liefen aus der Decke und daran entlang bis zum Boden. Er förderte ein paar Handschellen zutage und kettete Kuhn damit an eines der Rohre. Dann wandte er sich ab und verschwand in einer Tür im hinteren Hallenbereich. Kuhn sah ihm nach, dann war er allein mit sich und seiner Not. Er blickte sich um. Außer dem rätselhaften Wagen enthielt die Halle so gut wie nichts. Ein langer Holztisch und einige Stühle waren ein paar Meter weiter an die Wand geschoben, das war das gesamte Mobiliar. Alles andere als ein Ort, um sich heimisch zu fühlen.
    Schwach drangen Stimmen an sein Ohr.
    Plötzlich, in der Endgültigkeit seines Gefangenendaseins, fühlte Kuhn sich elender

Weitere Kostenlose Bücher