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Lautlos

Lautlos

Titel: Lautlos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schätzing
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als sie hergefahren waren. Der Verlag hatte ihn abberufen. Mitten in der Nacht, wie es schien. Er würde in Essen und Düsseldorf sein und wahrscheinlich erst in den Abendstunden wieder eintreffen. Es war unfassbar! Sie hatten den Nachtportier dazu gebracht, ihnen eine Flasche von dem Zeug zu organisieren, morgens um vier. Dann waren sie auf O'Connors Bett gekrochen und hatten tatsächlich angefangen zu trinken, zu erschöpft, sich ein weiteres Mal zu lieben, und dennoch wild entschlossen, den Moment niemals enden zu lassen.
    Wie lange konnte ein Mensch so etwas durchhalten, wenn er nicht O'Connor hieß?
    Sie schwang die Beine über die Bettkante und grübelte darüber nach, was sie geweckt hatte. Von allein war sie nicht wach geworden. Da war ein Geräusch gewesen. Unangenehm, penetrant.
    Ein Piepen.
    Ein doppeltes, schneidendes Piepen, wie es ihr Handy von sich gab, wenn eine Kurzmitteilung eingetroffen war.
    Die Nachricht!
    Etwas zu hastig sprang sie auf die Beine und taumelte. Wie lange hatte sie geschlafen? Das Ziffernblatt ihrer Uhr wechselte mehrfach seine Position, bis ihr Wahrnehmungsvermögen es schaffte, Zeiger und Zahlen zu einem klaren Ganzen zu koordinieren.
    Viertel nach acht. Kein Wunder, dass sie kaum in der Lage war, gerade zu stehen.
    Mit tastenden Schritten bewegte sie sich durch das Chaos aus verstreuten Kleidungsstücken, das den Boden weiträumig bedeckte. Fast wäre sie auf das Handy getreten. Es lag neben einem ihrer Schuhe. Sie bückte sich und merkte, wie ihr Hirn im Schädel nach vorne rutschte und weich gegen den Stirnknochen klatschte. Kurz wurde ihr übel, und sie musste sich unverrichteter Dinge wieder in die Senkrechte begeben. Beim zweiten Versuch war sie vorsichtiger. Langsam, das Handy in der Rechten, kam sie wieder hoch und las die Schrift im Display.
    KURZMITTEILUNG ERHALTEN
    Nacheinander drückte sie die Funktionen durch, bis die Nummer des Absenders im Sichtfenster erschien.
    Es war Kuhns Nummer.
    Kuhn?
    Etwas sagte ihr, dass eine Unlogik darin lauerte, aber ihr fiel nicht ein, warum. Mit einem weiteren Daumendruck holte sie den Text auf den Bildschirm. Die Zeichen formten sich zu Worten. Apathisch starrte sie darauf, zuerst unfähig, einen Sinn in dem kurzen Text zu erfassen.
    HILF – PADYS WONUN – DERJAK – DERIJAG? SCHIESST – HABEN PROBLEM – PIEZA DATSPIGLEN – OBJEKT V –
    Darunter erschien Kuhns Nummer ein weiteres Mal in der Absenderzeile.
    Aber das war es nicht, was ein Gefühl tiefer Unruhe in ihr aufziehen ließ.
    Das Display zeigte ihr klar und unmissverständlich an, wann die Nachricht abgeschickt worden war:
    GESENDET:
    17. JUNI 1999
    00:56:12
    Zweieinhalb Stunden bevor sie mit dem Lektor telefoniert hatte.
    »Liam«, flüsterte sie.
    Ungeachtet der Schmerzen in ihrem Kopf packte sie O'Connor bei den Schultern und schüttelte ihn nach Leibeskräften.
    »Liam. Liam! Wach auf.«
    Er öffnete die Augen und sah sie an.
    »Slainte«, sagte er. »Ist noch was in der Flasche?«
GRUSCHKOW
    Im Maritim herrschte Geschäftigkeit. Es ging gegen neun. Busse fuhren vor. Weitere Scharen von Diplomaten und Korrespondenten waren angereist, Koffer wurden auf Garderobenwagen durch die Halle geschoben, an der Rezeption entstand Gedränge.
    Maxim Gruschkow beobachtete das Geschehen mit einer gewissen Schläfrigkeit. Seine Brillengläser spiegelten das Licht des Tages wider, das durch die gläserne Eingangsfront ins Innere fiel. Er trug einen dunklen Anzug und einen weinroten Seidenschal. Mit der polierten Glatze und dem Taschenbuch in seiner Hand, den dritten Cappuccino vor sich, hätte er ein Künstler oder Literat sein können. Seit drei Stunden saß er in der Halle und las Platon, den Blick stets zur Hälfte über den Buchrand gerichtet.
    Er wusste, dass O'Connor und die Frau am frühen Morgen hier eingetroffen waren. Sie hatten sich ohne Umschweife nach oben begeben und waren seitdem nicht wieder aufgetaucht.
    Mit einem Mal sah er sie den Fahrstuhl verlassen und Richtung Ausgang streben.
    Sehr lange Beine, dachte Gruschkow. Schöne Beine.
    Er schlürfte den letzten Rest seines Cappuccinos, erhob sich und folgte den beiden. Sie gingen auf ein Taxi zu. Gruschkow ging vor dem Wagen her bis ans Ende der Ausfahrt und stieg in den dort geparkten Audi. Im Moment, als er den Zündschlüssel drehte, rollte das Taxi an ihm vorbei.
    Ohne Eile fädelte er sich in den Verkehr ein und folgte dem Wagen, wobei er gehörig Abstand und einige Autos zwischen sich und dem Taxi ließ.

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