Lautlos
Identität …«
»Na ja, wir wollen nicht allzu optimistisch sein. Aber wie es aussieht, könnte es sich tatsächlich um eine interne Sache der Iren handeln. Clohessy wollte offenbar raus, weil er zu dem Schluss gelangte, die IRA hätte sich erledigt. Alles, was jetzt noch folgen würde, wäre kein Kampf mehr um eine gerechte Sache, sondern nur noch Terror aus Perspektivlosigkeit.«
»Woher wissen die das?«
»Von V-Leuten aus Ulster. Er hat versucht, sich friedlich abzusetzen, aber sie wollten ihn nicht gehen lassen.«
Dasselbe, was ich eben der Geschäftsleitung erzählt habe, dachte Lavallier. Der extremistische Flügel wird weitermachen, ungeachtet dessen, ob es einen Sinn ergibt oder nicht. Clohessy dürfte ein wandelndes Verzeichnis der technischen Intelligenz der Iren sein. Einer der wenigen, die im Stande wären, den Engländern wirklich zu helfen im Wettlauf um die ausgefeilteste Technologie, weil er wusste, wie die IRA dachte.
Es war sonnenklar, dass sie ihn erledigen mussten.
»Wir haben auch Kuhn überprüft«, sagte Bär.
»Und?«
»Alter Achtundsechziger. Hat sich in den Studentenrevolten engagiert, aber eher als Mitläufer. Hier und da ein bisschen aufgefallen durch Äußerungen zur Situation der Dritten Welt, nichts Ernsthaftes. Dasselbe unausgegorene Zeug, das auch Baader-Meinhof umtrieb, allerdings gibt es keine Berührungspunkte zu RAF, Bewegung 2. Juni, Rote Zellen und wie sie alle hießen. Eine Nacht im Knast verbracht, weil er den einzigen Stein in seinem Leben geworfen und dummerweise sofort jemanden getroffen hat. Danach wird er bürgerlich und tüchtig. Karriere durch verschiedene Verlage, einige Jahre als Korrespondent in den Staaten, mittlerweile Cheflektor bei Rowohlt und O'Connors persönlicher Betreuer.«
»Politisch engagiert?«
»Eher retrospektiv und theoretisch. Aber er scheint ein fähiges Köpfchen zu sein. Wir haben seinen Verlag angerufen, er hatte natürlich keinerlei Anweisung, heute irgendwohin zu fahren.«
»Klar. Was hast du denen erzählt?«
Bär winkte ab. »Nichts. Sie wollten natürlich tausend Dinge wissen.
Interessant ist, dass diese Kirsten Wagner – O'Connor nennt sie Kika – als Wachhund auf O'Connor angesetzt wurde. Sie ist seine Pressereferentin, aber ihr eigentlicher Auftrag lautete sicherzustellen, dass er nicht zu sehr über die Stränge schlägt.«
»Mir kommt es vor, als hätte sich der Wachhund an die Leine legen lassen«, sagte Lavallier zweifelnd.
»Mir auch. Kuhn und O'Connor kennen sich jedenfalls eine ganze Reihe von Jahren. Ich weiß nicht, was sie über den Job hinaus miteinander verbindet, aber nehmen wir mal an, Clohessy glaubt – es würde ja reichen, wenn er es nur glaubt –, O'Connor sei ihm im Auftrag der IRA auf den Fersen. Er wird natürlich unruhig. Nachts sieht er O'Connor und Wagner dann vor seinem Haus stehen, und Kuhn rückt ihm sogar auf die Bude.«
»Hm.«
»Gefällt dir nicht, was?«
»Doch«, beeilte sich Lavallier zu versichern. »Es gefällt mir sehr gut. Weißt du, es gefällt mir irgendwie zu gut. Es würde so viele Probleme lösen, dass ich gar nicht wage, weiter darüber nachzudenken, nur dass mir diese SMS nicht schmeckt: Derjak schießt, Pieza, Spiglen und der ganze Rest. Sie passt irgendwie nicht in deine Theorie. – Haben wir übrigens was in Clohessys Wohnung gefunden?«
»Nichts, was auf einen Kampf hindeutet. Keine signifikanten Fusseln, Haare, ich sagte ja, es scheint, als sei er überhastet aufgebrochen und habe ein paar Sachen mitgenommen. Sein Mobiliar kannst du an einer Hand abzählen. Die Spurensicherung hat einiges sichergestellt. Sie nehmen es gerade unter die Lupe. Sie haben einen Block gefunden, Clohessy muss etwas mit der Hand darauf geschrieben und das Blatt dann abgerissen haben, aber die Schrift hat sich durchgedrückt. Vielleicht eine Spur.«
»Na gut. Gehen wir wieder rein.«
» …lade Sie gern zum Mittagessen ein«, sagte Mahder gerade zu Wagner, als sie das Büro betraten.
»Sehr gern, wir müssen ohnehin …«
» … gibt kein verbindliches Rezept für Irish Stew«, hörten sie O'Connor dazwischen zu Pecek sagen. »Die Vermutung liegt nahe, dass Irish Stew ebenso eine Erfindung der Deutschen ist wie die Pizza, die von den Süditalienern in den späten Sechzigern übernommen wurde und …«
»Ach. Ich dachte eigentlich immer …«
Lavallier schüttelte den Kopf, schickte Mahder, O'Connor und Wagner mit Bär in dessen Büro und sprach einige Minuten allein mit Josef Pecek.
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