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Lautlos

Lautlos

Titel: Lautlos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schätzing
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treten sich die Parteien der Mitte auf die Füße. Rechtsextremismus lebt noch in der Isolation. Bei uns ist das anders. Unseren Demokraten steht ein wirklich rechter Flügel gegenüber, und er hat einen gefährlichen, gewaltbereiten Rand. Ich würde sagen, unsere konservativen und religiösen Fundamentalisten können dem islamischen Fundamentalismus in jeder Hinsicht die Hand reichen, sie töten Menschen, verüben Sprengstoffattentate auf Abtreibungskliniken, lynchen Andersdenkende und geben ein Heidengeld aus, um Amerika den Teufel auszutreiben. Für sie ist Clinton ein Usurpator, ein tragischer Irrtum, der die alten Werte von christlicher Erziehung, puritanischer Moral und Nationalstolz nie verinnerlicht hat, eine Halbwaise aus Arkansas aus zweifelhaften Verhältnissen, die niemals Präsident hätte werden dürfen.«
    O'Connor sah Silberman nachdenklich an.
    »Ich will nichts davon verteidigen«, sagte er. »Aber Clinton ist tatsächlich ein feiger Hund. Was die Menschen wütend macht, ist, dass er lügt, nicht, dass er seine Praktikantinnen vögelt.«
    »Er lügt ja nicht«, sagte Silberman mit gequältem Lächeln. »Er verdreht die Tatsachen. Darin ist er viel geschickter.«
    »Er hat sich immer aus allem herausgestohlen«, schnaubte O'Connor. »Das wissen sogar die dummen irischen Bauern, und die kennen gemeinhin nicht viel mehr von der Welt als das Keimverhalten ihrer Kartoffeln. So etwas macht mich wütend, Aaron, diese Verlogenheit, die offenbar zur politischen Kultur gehört. Ich bin weiß Gott einer, der die Welt mit der Gelassenheit eines Theaterkritikers zur Kenntnis nimmt. Meine größte Betroffenheit gilt dem Umstand, dass die Besetzung so schlecht gewählt ist. Aber ich bin reich. Ich bin Multimillionär. Ich kann aufstehen und gehen. Die Menschen, die Clinton gewählt haben, können das nicht, sie müssen damit leben, dass das Verhältnis ihres Präsidenten zur Wahrheit im besten Fall interessant zu nennen ist. Er war gegen den Vietnamkrieg, aber nur ein bisschen. Er hat einen Joint geraucht, aber nicht inhaliert. Er hat sich einen blasen lassen, aber er hat ihr das Ding nicht reingesteckt. Und wie Clinton sind Dutzende. Hier in Deutschland ist so viel gelogen und ausgesessen worden, dass es mich wundert, die Parteiobersten nicht geteert und gefedert zu sehen. In Irland schweigen wir unsere Probleme einfach tot, wenn wir sie nicht gerade in Blut ertränken. Überall auf der Welt genießen Sie so lange Glaubwürdigkeit, bis man Sie an die Spitze gewählt hat. Danach betrachtet man Sie als gewählten Gauner. Es gibt keine Integrität in der Politik. Wer regiert, lügt. So sehen es die Leute.«
    »Und Sie stehen auf und gehen?«
    »Allerdings.«
    »Warum tun Sie es dann nicht auch jetzt?«
    O'Connor starrte ihn an.
    »Was ich meine«, sagte Silberman bedächtig, »ist nichts anderes als das, was Sie eben gesagt haben. Es stimmt, Clinton ist feige, politisch ambivalent und von persönlicher Verantwortungslosigkeit geprägt. Aber er ist auch ein guter Politiker. Und er ist ein Mensch. Wenn schon die Tatsache, dass jemand überhaupt in die Politik gehen will, ihn in den Augen seiner Mitmenschen zum potentiellen Lumpen macht, ist das in der Tat bedenklich. Es ist ein Spiegel unserer Zeit. Unsere Freunde in Deutschland mögen politische Karrieristen mit persönlichem Wohlwollen betrachten, aber die wenigsten halten Politiker grundsätzlich für glaubwürdig. Sie halten Kohl für einen Paten und Schröder für einen Emporkömmling. In Amerika ist es noch schlimmer. Wir leben mit der Verachtung und dem Zynismus, der unseren Präsidenten grundsätzlich entgegengebracht wird. Ein Drittel aller Amerikaner verachtet Clinton.« Er machte eine Pause. »Aber dieses Phänomen betrifft die ganze Welt. Wir reden über Anschläge an Flughäfen und vergessen, dass der weltweite moralische Verfall der politischen Kultur die schlimmeren Attentäter wie Starr und seine Hintermänner erst ermöglicht. Wir öffnen den Rechten und Radikalen Tür und Tor, weil die Demokratie schwach und angreifbar geworden ist. Hinter Starrs Inquisition steckt der Versuch, das Amt des Präsidenten selbst zu beschädigen. Der Kreuzzug gegen Clinton, wie immer man ihn sehen mag, ist eine Offensive gegen einen Mann, der zweimal demokratisch gewählt wurde. Wäre er zurückgetreten, hätte das fatale Auswirkungen gehabt. Es wäre einem rechten Putsch gleichgekommen. Die Methode der persönlichen Vernichtung hätte triumphiert.«
    Silberman

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