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Lautlos

Lautlos

Titel: Lautlos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schätzing
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blinzelte, nahm seine Brille ab und sah O'Connor an. Ohne die Verstärkung durch die geschliffenen Linsen wirkten seine Augen in dem runden, freundlichen Gesicht klein und wie poliert. Analytische Schärfe und das Fehlen jeglicher Sentimentalität sprachen aus seinem Blick.
    »Verzeihen Sie, dass ich Sie in dieser Situation so sehr mit meinen persönlichen Anliegen konfrontiere«, sagte er. »Sie haben andere Sorgen. Ich auch. Alles, was ich sagen will, ist, dass ein politischer Totschlag unseres Präsidenten noch viel schlimmer gewesen wäre als die Beendigung seiner physischen Existenz. Wenn diese Gefahr besteht, müssen wir alles tun, um ihr entgegenzuwirken. Aber verstehen müssen wir vor allem die Signale. Unsere demokratischen Strukturen werden lautlos demontiert. Ausgerechnet Amerika zerstört sein eigenes System und lässt eine Horde erzkonservativer Geiferer und religiöser Rechter den American dream in einen Alptraum verwandeln. Auch in Europa warten fundamentalistische Ideologen und Populisten der Angst auf ihren großen Auftritt. Schauen Sie nach Österreich. Nach Frankreich, nach Deutschland. Was wird aus Russland, wenn Jelzin geht? Die Welt kann keine weitere Banalisierung der Politik verkraften, Liam. Die Spaßgesellschaft hat genug Spaß gehabt. Wir brauchen eine neue Integrität in der Politik, wir brauchen Wahrheit, und wir brauchen Menschen, die daran glauben!«
    »Eine Wahrheit hört auf, wahr zu sein, wenn sie von mehr als einer Person geglaubt wird«, sagte O'Connor trotzig.
    »Zufällig ist mir dieses Zitat bekannt. Es stammt von Oscar Wilde, nicht wahr? Nun, Liam, gestatten Sie mir Folgendes: Wenn ein armer Hund, der nichts zu beißen und keine Perspektive hat, aufsteht und geht, sobald es unangenehm wird, habe ich dafür tief empfundenes Verständnis. Wenn ein gelangweilter Multimillionär es tut, leistet er dem Zynismus Vorschub. Die Politiker lügen, die Faschisten prügeln sie aus dem Amt, und das Volk steht auf und geht. Ich gratuliere zu einer so erhebenden Vision vom dritten Jahrtausend.«
    Silberman rückte die Brille vorsichtig auf seinem Nasenrücken zurecht, als könne sie Schaden nehmen.
    »Ich hoffe, Sie nehmen das nicht persönlich. Wie hieß der Kommissar noch gleich? Lavallier. Nein, Bär. Ich rufe Sie an, sobald ich mit einem von beiden gesprochen habe.«
    O'Connor nickte.
    Tausend Zitate, Bonmots und geistvolle Erwiderungen lagen ihm auf der Zunge. Stattdessen sagte er nur:
    »In Ordnung, Aaron. Und ich Sie.«
    »Das wäre nett. Ich mache mir wirklich Sorgen um den armen Franz.«
    Silberman lächelte und ging davon. O'Connor sah ihm nach und fühlte sich einigermaßen überrumpelt.
    Dieser Ausflug nach Köln stellte tatsächlich alles auf den Kopf!
    Mit eiligen Schritten betrat er die Verwaltung und lief die Treppen hinauf in den zweiten Stock, wo die Technik saß.
JANA
    Kaum eine journalistische Berichterstattung war je von längerer Hand vorbereitet und einem strengeren Sicherheitsprocedere unterworfen worden als der Doppelgipfel in Köln.
    Ein halbes Jahr zuvor hatten Verlage und freie Journalisten ihre Akkreditierungsgesuche beim Bundespresseamt einreichen müssen. Akkreditiert zu werden hieß nicht automatisch, für beide Gipfel zugelassen zu sein. Es gab einen Ausweis für den EU-Gipfel und einen anderen für das G-8-Treffen. Ebenso zog das Ersuchen nicht zwangsläufig die Akkreditierung nach sich. Die Personalien der angemeldeten Journalisten wurden vom Bundeskriminalamt gegengecheckt, Lebenslauf, Leumund, beruflicher Werdegang, Dauer der Zugehörigkeit zum Verlag beziehungsweise der freien Mitarbeit, eventuelle Rechtsverstöße und Verdachtsmomente, die ganze Litanei.
    Wer als unbedenklich aus dem Fegefeuer hervorging, bekam den begehrten Akkreditierungsausweis zugesprochen. Im Pressezelt auf dem Kölner Heumarkt gelangten die Ausweise schließlich an ihre Besitzer. Drei Tage vor dem jeweiligen Gipfel konnte man sie dort gegen Vorlage eines größeren Packens Dokumente – Personalausweis, Zeugnisse, Akkreditierungsanträge, Beglaubigungen des Bundespresseamts und des BKA – in Empfang nehmen. Als Erstes erwarb man damit die nachträgliche Berechtigung, das Zelt überhaupt betreten zu dürfen. Weiter kam man mit dem mühsam erworbenen Kärtchen nicht. Um etwa auf die Pressetribüne am Flughafen oder vor den Gürzenich zu gelangen, bedurfte es neben dem Akkreditierungsausweis wiederum so genannter Poolkarten. Für jeden nur erdenklichen Anlass gab es diese Karten. Wer

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