Lautlos
auf ihre Vermarktbarkeit zurechtbogen. Weltweit entstanden auf diese Weise politische Superstars an der Spitze von Medienparteien, deren Charisma die kaum vorhandene Konzeptionslosigkeit überstrahlte. Tony Blair, Gerhard Schröder, sie alle waren als Lichtgestalten der Hoffnung angetreten, senkten den Altersdurchschnitt in der Politik um Jahrzehnte, gaben sich kumpelig und winkten und überlegten unterdessen, was dem Volk gefallen könnte. Gefiel es dem Volk dann doch nicht, korrigierte die Marktforschung die Strategie, und am Ende stimmte es wieder irgendwie.
Inzwischen hatte Clinton zu gewissen Grundsätzen zurückgefunden und sogar die Schlacht gegen die republikanische Inquisition für sich entschieden. Paradoxerweise war es gerade das von den Republikanern hochstilisierte Monicagate, aus dem Clinton gestärkt und selbstbewusst hervorgegangen war. Am Ende stand wieder der gute alte Bill aus Arkansas, ein unbändiger Optimist, der unkonventionell und an Instanzen vorbei Entscheidungen fällte und sich keinen Deut um formale Kanäle scherte. Was einerseits gut war, weil er überhaupt etwas entschied, und aus denselben Gründen schlecht, weil niemand genau wusste, mit wem sich der Präsident gerade über welches Thema unterhielt. Clinton fragte um Rat, wen er wollte. Solange er dachte, es sei der Richtige, fragte er auch den Nachtwächter oder die Putzfrau.
Entsprechend verdankte er seine Informationen über Köln wahrscheinlich auch nicht dem mühevoll zusammengestellten Exposé, das eigens für ihn angelegt worden war. Er hatte wieder alle möglichen Leute gefragt. Morris hatte dies gesagt, ein anderer jenes. Clintons Bild der Wirklichkeit war wie üblich fragmentarisch, und wie üblich würde der Präsident dennoch das Beste daraus machen.
Hierin, das wussten Guterson und alle, die um den Präsidenten herum waren, lag seine eigentliche, geniale Stärke. Er würde Köln das Gefühl geben, die schönste und für ihn persönlich wichtigste Stadt der Welt zu sein. Jeder Kölner, dem er in die Augen sah, würde den Eindruck davontragen, etwas ganz Besonderes zu sein.
Nicht anders hatten wohl die Menschen in Paris empfunden, von wo die Air Force One vor zwanzig Minuten gestartet war. Nach seinem Lunch mit Chirac war der Präsident Eis essen gegangen. Clinton auf der Terrasse eines Bistros, schäkernd mit der Serviererin, dann der unprotokollarische Kopfsprung in die Menge, Hände schütteln, quatschen. Das war Clinton. Der Traum vom anfassbaren Star, der Alptraum seiner Leibwächter.
Guterson schlug die Beine übereinander und sagte geringschätzig:
»Morris war garantiert noch nie in Köln. Er hat keine Ahnung. Es wird Ihnen gefallen, Mr. President.«
»Mir gefällt das Programm«, sagte Clinton. »Schröder ist ein viel lustigerer Bursche als Kohl. Er hat den besseren Schneider und mag die Stones, und seine Frau gibt einem nicht ständig das Gefühl, auf eine Breitwandprojektion zu starren. Sehr nette Leute.«
»Sie wollen wirklich auf das Stones-Konzert?«, fragte Guterson.
»Warum nicht? Wann ist das noch gleich? Am Sonntag! Seien Sie nicht so langweilig, Norman. Immer kommen Sie mit dem ewigen Sicherheitsgezänk. Ich weiß noch nicht, ob ich hingehe, irgendwann wollten die Schröders mit Hillary und mir zum Essen –«
»Mr. President …«
»Aber ich hab Chelsea versprochen, es möglich zu machen, wenn es irgendwie klappt. Sie geht auf jeden Fall.« Der Präsident reckte die Arme und gähnte. »Sie können das nicht begreifen, Sie haben keine Kinder.«
»Nein, Sir.«
»Wie viel Verspätung haben wir jetzt?«
»Etwa zwanzig Minuten.«
»Das ist ärgerlich, Norman. Das nächste Mal informieren Sie mich am Boden darüber, dass wir zu spät sind, und nicht erst in der Luft. Es ist Ihre Aufgabe und die des Protokollchefs, das heißt, eigentlich ist es mir egal, wessen Aufgabe es ist, jedenfalls habe ich keine Lust, mir auch noch Abflugtermine merken zu müssen.«
»Tut mir leid, Mr. President«, sagte Guterson. »Es kommt nicht mehr vor.«
Clinton lächelte versöhnlich. Auch das war bemerkenswert an ihm. Kurzen Gewittern folgte fast augenblicklich Sonnenschein. Er konnte recht deutlich werden, aber er war niemals nachtragend. Tatsächlich hatte das Protokoll es versäumt, ihn rechtzeitig über die Verspätung ins Bild zu setzen. Sicherheitschecks waren der Grund gewesen, nicht zuletzt verursacht durch Clintons übermäßig langes Bad in der Pariser Menge, aber natürlich konnte das nicht das Problem
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