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Lautlos

Lautlos

Titel: Lautlos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schätzing
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des Präsidenten sein.
    Die Air Force One flog eine Kurve und ging weiter runter. Guterson schaute aus dem Fenster, aber außer einer Wolkendecke sah er nicht viel. Er mochte es, wenn Clinton während der Landung hier saß und nicht in seinen Räumlichkeiten war. Die Air Force One bot dem Präsidenten und seiner Familie eine komplett eingerichtete Suite mit einem komfortablen Schlafzimmer, Ankleidezimmer, Bad und Dusche und WC, außerdem ein voll eingerichtetes Büro. Darüber hinaus gab es ein Esszimmer für die Präsidentenfamilie und ihren Stab an Bord, das auch als Konferenzraum benutzt wurde. Möglichkeiten, sich zurückzuziehen, boten sich viele, und viele Präsidenten hatten sie genutzt. Clinton war dafür zu bodenständig. Er hing lieber mit den Security-Leuten und der Crew herum und schwatzte.
    »Wie ist das Wetter?«, fragte er beiläufig.
    »Es regnet«, sagte Guterson.
    »Ich will auf jeden Fall in diese Brauerei.«
    Auch das war typisch. Die schnellen Themenwechsel. Clintons Verstand war rastlos, er hatte immer mehrere Sachen gleichzeitig im Kopf. Guterson war auf die Sprunghaftigkeit des Präsidenten eingestellt. Langweilig war es nie mit Clinton. Der Präsident war ein blitzschneller Denker, der aus dem Stand heraus improvisierte und ein hohes Maß an Kreativität entwickelte. War er in der richtigen Stimmung, bekam man eine Menge Spaß mit ihm. Staatsbesuche mit Clinton waren immer eine Mischung aus ernsthafter Politik und der Vorbereitung einer Studentensause inklusive dreckiger Witze, alberner Streiche und konspirativem Gejohle.
    Folgerichtig hatte der Präsident zuallererst die unterhaltsamen Seiten Kölns erspürt. Als man ihm die Mentalität der Kölner auseinander setzte und ihm erzählte, in der Stadt gäbe es eine Reihe uriger Brauhäuser und ein angenehm schmeckendes Bier, war er Feuer und Flamme gewesen.
    »Wir müssen so ein Ding besuchen«, hatte er gesagt und Guterson in die übliche Verzweiflung gestürzt. Wenigstens hatte er es überhaupt angekündigt. Es war schwer genug gewesen, ihm ein bisschen Rücksichtnahme auf die Menschen anzugewöhnen, die sich um seine Sicherheit zu kümmern hatten und über Spontanbesuchen in öffentlichen Gaststätten und unabgesprochenen Bädern in der Menge graue Haare bekamen. Dabei lag es dem Präsidenten fern, diese Menschen zu brüskieren. Er hatte nur einfach Präsident werden und trotzdem weiterhin so leben wollen wie der nette Bursche von nebenan, der schnell mal mit Freunden ein Bier trinken oder joggen geht, wenn ihm danach ist. Irgendwie, obwohl er den Job nun lange genug machte, konnte oder wollte Bill Clinton nicht begreifen, warum der mächtigste Mann der Welt einen eingeschränkteren Handlungsspielraum haben sollte als ein Student.
    Also hatten sie Wochen vorher damit begonnen, Kölns Brauhäuser abzuklappern, um den Besuch des Präsidenten vorzubereiten. Sie checkten die Malzmühle, das Päffgen, das Brauhaus Sion und die Küppers Brauerei, schauten sich um und aßen die Speisekarten rauf und runter. Natürlich wusste Clinton, was sie taten. Dennoch schärften sie den Gastwirten ein, die Sache vertraulich zu behandeln und niemandem davon zu erzählen, dass möglicherweise irgendwann zwischen dem 17. und dem 22. Juni der Präsident der Vereinigten Staaten hereingeplatzt käme und Kölsch bestellen würde. Sie wollten Clinton nicht den Spaß verderben. Es sollte spontan wirken. Für Clinton war es ein Vergnügen, für seinen Stab ein weiteres Steinchen im Gefüge der präsidentialen Wurstigkeit. Sie wussten, dass so etwas gut in der Öffentlichkeit ankam. Wenn der Präsident plötzlich ein Kölsch trinken wollte, sollte er eben plötzlich ein Kölsch trinken gehen, je plötzlicher, je lieber.
    Da unten, dachte Guterson, während die riesige Maschine tiefer und tiefer ging, scheint jedenfalls alles in Ordnung zu sein. Sie hatten keine gegenteiligen Meldungen erhalten. Er schloss für eine Sekunde die Augen. Wirklich entspannt war er nie. Als Sicherheitschef des amerikanischen Präsidenten war man nicht entspannt. Man war vielleicht gelassen, aber immer in höchster Bereitschaft. Selbst an Bord des bestausgestatteten und bestbewaffneten Passagierflugzeugs der Welt. Vier Jahre lang hatten Generäle, Sicherheitsexperten, Geheimdienstler und Ingenieure an dem vierhundert Millionen Dollar teuren Überflieger getüftelt. Die Air Force One war Regierungssitz und fliegende Festung in einem. Ausgerüstet mit Warnanlagen und Abwehrsystemen gegen radar-

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