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Lautlos

Lautlos

Titel: Lautlos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schätzing
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langsam an Kraft zu verlieren. Seine Gesichtsfarbe hatte sich von wachsweiß zu grau entwickelt.
    »Weiß es nicht«, antwortete er matt. »Wirklich nicht, ich … schwöre. Drake weiß es … Mirko.«
    »Mirko war mein Auftraggeber«, schrie Jana ihn an. »Und jetzt versucht er uns alle umzubringen, also soll ich rausgehen und ihn fragen?«
    »Mirko … Er …«
    »Wer ist Mirko, verdammt? Wer ist dieses Arschloch, dem ich vertraut habe?«
    »Dra … Drakovíc.« Die Aussprache des Agenten wurde immer undeutlicher. Er machte längere Pausen, wenn er sprach. »Sein richtiger Name … Serbien geboren … aufgewachsen USA. Mehr weiß … nicht. Heißt, er war … Doppelagent. Für Russen spioniert. Die Fronten gewechselt. Irgendwann, lange her. Er … Sie sagen, er hat der CIA ein paar Geheimnisse verraten … Seine Karriere … CIA, dann … Secret Service …«
    »He, Jana, was höre ich da?«, ächzte Kuhn. »Du arbeitest für den Secret Service? Donnerwetter!«
    »Sei endlich still!«, fuhr sie ihn an.
    »Machen Sie sich nichts draus«, sagte Silberman. Es war das erste Mal, dass er sich vernehmen ließ seit der Schießerei. Unbeholfen humpelte er näher und sah den Agenten an. »Leute wie Mirko täuschen noch ganz andere. Es gibt ein paar brisante Personalentscheidungen in der Geschichte der CIA, und beim Secret Service auch, nicht wahr? Fachleute für Terrorismus, ehemalige Agenten der Gegenseite, Ausländer. Wertvoll. Oft die besseren Amerikaner. Uns selbst können wir ja kaum noch trauen. Anfang der Neunziger wurde der höchste Agent der CIA als Doppelagent entlarvt, und der stammte – glaube ich – aus Chicago. Er hat Reagan und Bush jahrelang weisgemacht, die Sowjetunion sei viel mächtiger, als sie in Wirklichkeit war, und alle sind drauf reingefallen. Wir haben Milliarden investiert in die Protektion gegen ein Reich des Bösen, das eines schönen Tages wie ein morscher Schuppen auseinander fiel.«
    Der Agent bäumte sich auf und sackte in sich zusammen.
    »Wenn Sie eine Antwort wollen, Jana«, sagte Silberman, während er zusah, wie der Körper des Mannes an der Wand nach unten rutschte, »schauen Sie in mein Land. Wir haben eine lange Tradition in der Ermordung unserer Präsidenten. Was überrascht Sie also?« Er drehte sich zu ihr um und breitete die Arme aus. »Allerdings muss ich zugeben, dass wir den rituellen Königsmord lieber selbst begehen, als es Ausländern zu überlassen. Ihr treibt zu viel Aufwand, und am Ende geht es schief.«
    »Und was ist mit dem hier?«, fragte Wagner mit Blick auf den bewusstlosen Agenten. »Warum wollen diese Leute ihren Präsidenten töten?«
    »Der arme Hund da, der noch nicht begriffen hat, dass er sich mit rechts nicht mehr am Hintern kratzen kann? Schwer zu sagen. Ich schätze, er gehört zu einer Seilschaft. Die offiziellen staatlichen Organe sind infiltriert davon. Von Extremisten, Nationalisten, Rassisten. Oder einfach nur Killer, die ihr mageres Staatssalär aufbessern. Die Frage ist, wer am Ende des Seils ist. Das hier ist Mirkos Truppe, aber Mirko hat sich auch nur instrumentalisieren lassen. Wenn Sie die politischen Verhältnisse in den USA besser kennen würden, könnten Sie darauf tausend mögliche Antworten finden, ohne es am Ende zu wissen.«
    »Ich will es aber wissen«, sagte Jana heftig. »Ich will wissen, wem ich diesen Verrat verdanke!«
    »Du würdest es doch gar nicht verstehen«, sagte Kuhn gepresst.
    »Was?«
    »Selbst wenn du es wüsstest, könntest du nichts damit anfangen.« Er keuchte und sog unter Schmerzen Luft in seine Lungen. »Amerika ist dir ebenso unbekannt wie Serbien dem amerikanischen Präsidenten. Ihr unterscheidet euch durch gar nichts. Wie willst du den Bösen finden, wenn du nicht mal die Guten kennst? Geh, koch uns einen Kaffee, der Kaffee heute war gut, aber lass die Politik in Ruhe, ja?«
    »Ich weiß nicht, wovon du redest«, sagte Jana mühsam beherrscht. Kuhn tat ihr wider Willen leid, sie hatte nicht gewollt, dass Gruschkow ihn halb tot trat, aber er begann ihr auf die Nerven zu gehen.
    »Nein, er hat Recht«, sagte Silberman. Seine Stimme war fest, nur das gelegentliche Zucken seiner Gesichtsmuskeln verriet, dass er Schmerzen hatte. »Und das ist das Traurige. Wir sitzen in dieser Halle aufgrund tragischer Irrtümer. Ihr Irrtum, Jana, beginnt vor vielen hundert Jahren und findet sein vorläufiges Ende im Scheitern eines despotischen Nationalisten, der sein Volk fortgesetzt mit seiner eigenen Geschichte vergewaltigt.

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