Lautlos
Zuneigung, die Köln dem Präsidenten jetzt schon entgegenbrachte, auch auf die offensichtlichen Parallelen zu JFK zurückzuführen. Seit Kennedy hatte kein Politiker in den USA das höchste Amt im Staat so kontinuierlich angestrebt und auch gewonnen wie Bill Clinton. Ebenso wie Kennedy war der Präsident ein Berechner, der sich auf dem schmalen Grat zwischen dem Verbotenen und Nochvertretbaren bewegte. Er hatte Amerika aus der Isolation befreit, ein Hoffnungsträger, der einen langen amoralischen Schatten warf und darum jeden potentiellen Sünder faszinieren musste. Wie Kennedy war auch Clinton ein unbändiger Optimist, der automatisch davon ausging, man könne sich immer irgendwo treffen, und gerade darum hatten beide sich so gut verkauft. Clinton war überzeugt, dass insgeheim sogar republikanische Hardliner wie Newt Gingrich oder Pat Buchanan eine Basis mit ihm wollten – von Leuten wie Jassir Arafat oder Hafez al-Assad ganz zu schweigen –, die man nur entdecken müsse. Impulsiv neigte er zu Toleranz und Ausgleich, was ihm Stimmen einbrachte, zugleich aber auch sein größtes Problem darstellte. Wenn Bill Clinton eines nicht konnte, und auch darin glich er Kennedy, dann seine Gegner richtig einschätzen. Beide waren Kämpfer und zugleich Spieler, populistische Grenzgänger, die alles auf eine Karte setzten, ohne recht zu wissen, wer ihnen gegenübersaß.
Der eine hatte am Ende verloren. Alles, das Leben. Dafür war er in den Olymp der Unantastbarkeit entstiegen, den er mit den Größten der Geschichte teilte. Wenn die Laserattacke wirklich Clinton gegolten hatte, wäre ihm der arme Aufsteiger aus Arkansas womöglich in eine Art Vorzimmer gefolgt. Trotz des Lewinsky-Skandals betrachteten die meisten Amerikaner das Vorgehen Starrs gegen den Präsidenten mit Skepsis und Widerwillen. Sie fanden, es sei seine Sache, was er mit seinen Zigarren tat. JFKs Liebeleien hatten den Präsidenten nicht daran gehindert, die Kubakrise zu meistern, warum also sollten Clintons eher harmlose Abenteuer ihn davon abhalten, die USA aus dem psychologischen Black Hole herauszuführen, in das die Weltmacht nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion gestürzt war?
Wie bei Kennedy waren es – trotz oder gerade wegen seiner offen zur Schau gestellten Triebhaftigkeit – gerade die Frauen, die Clinton die Stange hielten. Ihnen verdankte er die Wiederwahl. Sie hätten vermutlich am meisten um ihn getrauert, wenn er dem Anschlag zum Opfer gefallen wäre, weil sie wesentlich mehr Akzeptanz für Clintons Seitensprünge aufbrachten als für Starrs Sittenpolizei, die sie zurückzwingen wollte in die finsteren Abgründe des Kolonialismus, zurück an den Herd und ins puritanische Abseits. Im Grunde war es nur logisch, dass Clinton den Rummel um seine Person in der Malzmühle nicht den Kölnern verdankte, sondern einer weiblichen amerikanischen Reisegruppe.
Vielleicht, im Falle der Katastrophe an diesem Tag, hätte Clinton posthum sogar von seinen Gegnern so etwas wie Liebe erfahren. Nur, Verehrung blieb Kennedy vorbehalten. Hier endete die Parallele. Clinton träumte den historischen Traum. Von Friedensschlüssen unter seinem Patronat, von der Lösung der Nahostfrage, von der Unsterblichkeit. Kennedy hatte diesen Traum verkörpert. Geschichte war nicht wiederholbar, sosehr man sich auch darum bemühen mochte.
Es war 23.00 Uhr, als sie hinaus auf die Straße traten. Der Präsident winkte in die Menge, verschwand in seinem Lincoln, und sie fuhren zurück, während ein weiteres Mal die Deutzer Brücke gesperrt und die Schifffahrt eingestellt wurde.
Wenn schon, dachte Guterson.
Auf diese Weise würden sich die Kölner wenigstens daran gewöhnen, was ihnen in den nächsten Tagen noch bevorstand. Wenn sie Clinton wollten, mussten sie den Secret Service, die CIA und das FBI eben mit in Kauf nehmen. Und sie konnten sich dabei noch glücklich schätzen. So entspannt und freundschaftlich die Zusammenarbeit mit dem BKA im Wesentlichen verlaufen war, hatten einige Gespräche weitaus weniger freundliche Züge getragen. Die Reibereien etwa mit dem FBI, das sich – zugegeben – um fremde Hoheitsrechte wenig scherte. Oder als sie verlangt hatten, für Clinton die komplette Innenstadt räumen zu lassen oder wenigstens einen eigenen Weg vom Rathaus zum Römisch-Germanischen Museum festzulegen. Das BKA war fuchsteufelswild geworden. Jeder gehe diesen Weg, der Franzose, der Italiener, der Kanzler, der Japaner, warum nicht Clinton? Sie hatten versucht, den
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