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Lautlos

Lautlos

Titel: Lautlos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schätzing
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Unbeholfenheit gewesen, eine makabre Travestie. Mirko hatte es nur darum nicht sofort erkannt, weil er nichts anderes zu sehen erwartet hatte. In seiner Erinnerung lagen die beiden Agenten dort, wo er sie auch vorfand. Seine Aufmerksamkeit hatte anderen Dingen gegolten, nicht einem blutigen Bündel, das verdreht dalag, mit einem Arm den halben Kopf verdeckend, ganz offensichtlich einer seiner Männer.
    Wagners Blick wanderte hinüber auf die andere Straßenseite.
    Zwanzig Minuten nachdem O'Connor Lavallier angerufen hatte, glich die Spedition einem Testgelände für Polizeieinsätze. Auf der Straße parkten mehrere Mannschaftswagen. Flutlichtstrahler waren herbeigeschafft worden. Das Rolltor stand weit offen und gab den Blick frei auf hektische Aktivitäten im Innenhof und in der Halle. Uniformierte liefen ein und aus, Teams der Spurensicherung untersuchten die beiden Lastwagen, den YAG und überhaupt alles. Zwischen den Polizeifahrzeugen parkten quer über den Gehsteig zwei Notarztwagen. Die Ärzte und Sanitäter waren in der Halle verschwunden und noch nicht wieder zum Vorschein gekommen. Das Letzte, was sie gehört hatte, war, dass es offenbar Schwierigkeiten gab, Kuhn zu transportieren. Er litt an inneren Verletzungen und Knochenbrüchen und hatte das Bewusstsein verloren. Sie konnten nicht genau sagen, wie sein Körper reagieren würde, wenn man ihn bewegte. Sie kämpften um ihn. Das war alles. Silberman war bei ihm, dessen Streifschuss sich unproblematisch hatte versorgen lassen. Der überlebende Agent befand sich bereits im Innern eines der Notarztwagen. Wagner wusste nicht, ob sie ihn verhörten oder ob er überhaupt in der Lage war, zuzuhören und Fragen zu beantworten.
    Es war ihr gleich.
    Sie fragte sich, ob sie den Anblick der Halle je würde vergessen können. Zumindest weit genug zurückdrängen, dass die Bilder sie nicht in ihren Träumen heimsuchten. In einer Anwandlung von Selbstquälerei versuchte sie, sich in Erinnerung zu rufen, wie viele Leichen da drinnen herumlagen, aber es gelang ihr nicht. Ihr Verstand weigerte sich, darüber nachzudenken, und sie ließ ihn dankbar seine Barrieren errichten.
    Das Einzige, was sie wirklich glücklich machte, war, dass sie Mirko nicht hatte töten müssen. Es war misslungen. Die Gewissheit, versagt zu haben, hatte ihr Schauer des Entsetzens und der Angst über den Rücken gejagt, aber im Nachhinein erwies sich der Fehlschuss als Segen. Vielleicht würde sie in Zukunft schweißnass und schreiend aufwachen, aber wenigstens nicht wegen eines Menschen, dessen Leben sie genommen hatte. Auch wenn er Mirko hieß und eine Bestie gewesen war.
    »Wann können wir nach Hause?«, fragte sie.
    Bär lächelte.
    »Sobald wir hier fertig sind«, sagte er. »Es tut mir leid, aber so lange müssen wir Sie bitten, uns zur Verfügung zu stehen.«
    »Wir haben doch schon alles drei Mal erzählt.«
    Er machte eine Notiz in einem Buch, ohne darauf einzugehen. »Mir ist immer noch nicht klar, wohin Jana … nein, Sie sagten, ihr Name sei Sonja. Sonja … helfen Sie mir auf die Sprünge.«
    »Irgendwas mit K. Ich erinnere mich nicht mehr. Sie hat den Namen nur einmal genannt.«
    »Ja, richtig. Was mich wundert, ist, dass niemand von Ihnen gesehen hat, wie sie die Halle verließ.«
    »Wir hatten genug anderes zu sehen«, sagte O'Connor.
    »Obwohl sie gerade einen Mann erschossen hatte?«
    »Es war ein schreckliches Durcheinander danach«, sagte Wagner. »Wir wussten nicht, ob er wirklich tot war und –«
    »Mit einem Loch in der Stirn? Sie wussten es nicht?«
    »Wir mussten uns überzeugen. Was erwarten Sie? Wir hatten Angst, da war Kuhn, der sich nicht mehr rührte, dieser verletzte Agent …«
    »Jana hatte immerhin Zeit, die Perücke mitgehen zu lassen.«
    »Dann wird es ja kein Problem sein, sie zu finden«, sagte O'Connor, Erleichterung simulierend. »Wenn Ihre Leute jede Frau an den Haaren ziehen …«
    Der andere Kommissar beugte sich vor.
    »Ich möchte Ihnen nichts unterstellen, Dr. O'Connor. Ihre Kooperation am Flughafen ist sehr positiv zu Buche geschlagen, trotzdem ist Ihre Rolle aus unserer Sicht nicht hinreichend geklärt. Ich muss Sie darauf aufmerksam machen, dass es den guten Eindruck verderben könnte, wenn Sie Informationen zurückhalten.«
    »Ich habe bis jetzt noch jeden guten Eindruck von mir verdorben«, sagte O'Connor höflich. »Ich gebe mir alle Mühe.«
    »Das ist schön.«
    »Dafür halte ich es mit der Wahrheit. Zum Teufel mit Ihrem berufsmäßigen

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