Lautlos
Arm.
Ihr Blick hatte auf Jana geruht. Einen Moment lang war sie wieder in der Halle. Sah, wie die Terroristin dem maskierten Agenten die Perücke herunterzog und zur Tür ging. Dort stehen blieb, sich noch einmal umdrehte. Niemand, der ihr Beachtung schenkte in diesen Sekunden.
Sie hatten sich in die Augen geblickt.
Es war der seltsamste Teil ihrer Erfahrung gewesen.
Seltsam, zu wollen, dass sie entkam.
Nur einer sentimentalen Geschichte wegen?
Das Leben ist ein Buch, in dem du noch nach Jahren lesen kannst, dachte sie. Lass es ruhen. Verständnis reift.
»Was glauben Sie?«, fragte sie in unbekümmertem Tonfall. »Wie lange werden wir noch zur Verfügung stehen müssen?«
Lavallier hob lächelnd die Hände.
»Ich weiß es nicht. Wirklich nicht.« Er sah auf die Uhr. »Tja. Schade. Ich muss Sie leider verlassen. Das Programm geht weiter. Landungen, Abflüge, die ganze Routine.«
»Morgen hat es sich ausgegipfelt«, bemerkte O'Connor. »Ich schätze, dann haben wir es überstanden.«
Lavallier erhob sich.
»Bär hat Ihnen gesagt, dass Sie mit niemandem reden sollen, nicht wahr?«
Wagner nickte.
»Tun Sie es nicht. Er wird Ihnen noch andere Dinge sagen. Meine Quelle an Information ist hiermit versiegt.« Er lächelte erneut, ohne dabei besonders glücklich auszusehen. »Wissen Sie, vielleicht wäre es am besten, Sie wachen morgen früh auf und kommen zu dem Schluss, alles geträumt zu haben. Träume verblassen. Das ist praktisch. Meiner verblasst auch.«
»Das soll ein Traum gewesen sein?«, sagte Wagner ungläubig.
»Warum nicht?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Wie lange werden wir hier bleiben?«, fragte O'Connor noch einmal, drängender diesmal.
Lavallier sah ihn an.
»Versuchen Sie, es wie Bär zu sehen«, sagte er. »Und alle, die über ihm stehen. Überzeugen Sie ihn.«
»Wovon?«, rief O'Connor.
Lavallier antwortete nicht. Er sah durch die gläserne Front hinaus auf den Rhein.
Über dem Fluss hing regungslos ein großes Insekt. Es war ein Hubschrauber. Seine Scheiben reflektierten das Sonnenlicht.
Eine Weile verharrte er über dem Wasser.
Dann entschwand er ihren Blicken.
EPILOG
Der alte Mann starrte hinaus auf die Umrisse der Berge jenseits der baumbewachsenen Hügel, die Hände auf die steinerne Brüstung gestützt, den Kopf zwischen die Schultern gezogen. Er fror, obschon es heiß war. Anders als vor einem guten halben Jahr. Damals hatten andere gefröstelt, während er sich an Visionen wärmte.
Elf Millionen Dollar hatten sie ihr bezahlt. Für nichts!
Wie hatte er sich nur dazu breitschlagen lassen können, diesem Blödsinn zu vertrauen? Laserwaffen! Allein der YAG. Drei Millionen extra. Ein Irrsinnsaufwand, der Transport aus dem Institut für Hochenergielaserforschung im kalifornischen Redondo Beach über Moskau, damit Mirko seine falschen Fährten legen konnte. Und dann diese Frau, die man nicht zu Gesicht bekam. Lächerlich! Auch Mirko hatte nicht gehalten, was sie sich von ihm versprochen hatten.
Das war es! Genau hier lag das Problem. Dieser Präsident schuf ein Amerika, in dem nicht mal die Schurken noch was taugten.
Er drehte sich um und starrte auf die Inschrift über dem Portal der alten Klosterkirche.
»In God we trust.«
Alter, sentimentaler Narr, dachte er. Du solltest nicht mehr herkommen. Er hatte diese Klosterkirche in den Appalachian Mountains geliebt, als Ort der Einkehr fernab von seinen Büros, Gebäuden, Fabriken und Geldmaschinen. Jetzt war ihm alles fremd. Alles verdorben. Das Trojanische Pferd war auseinander gebrochen, die anderen verstimmt, weil sie fanden, er habe es verpatzt.
Er. Ausgerechnet!
Der Alte schnaubte.
Ohne den Bergen von Tennessee noch einen Blick zu widmen, ging er ins Innere, wo seine Leute warteten.
ANHANG
»Lautlos« streift eine Reihe von Themen, die unsere heutige Welt prägen: Terrorismus, Nationalismus, Krieg, Medienkultur, Menschenrechte, Wissenschaft und so weiter.
Dem einen oder anderen werden sich beim Lesen vielleicht Fragen dazu stellen. Natürlich kann und will das Buch nicht jede dieser Fragen erschöpfend beantworten. Es ist ein Roman und kein Sachbuch.
Für alle, die dennoch mehr wissen wollen über den Krieg im Kosovo, über Terrorismus, über mafiose Strukturen in Russland, über Amerika, über die Abbremsung von Licht und über Whisky, habe ich diesen Anhang geschrieben. Er vertieft einige der angesprochenen Aspekte, erleichtert das Verständnis und gibt vielleicht die eine oder andere Antwort.
ÜBER DEN
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