Lautlos
KOSOVO-KONFLIKT
Die Geschichte des Kosovo ist sehr komplex. Für die Serben ist das Kosovo »Heilige Erde«. Es gilt ihnen als die Wiege der serbischen Nation, obwohl das erste serbische Reich im neunten Jahrhundert in Raszien entstand, dem heutigen Sandzak. Tatsächlich hatte das Kosovo bis zum 12. Jahrhundert zum byzantinischen Reich gehört, erst dann wurde es Teil des serbischen Reichs – für fast zweihundert Jahre.
Fast jeder dürfte von der Schlacht auf dem Amselfeld, dem kosovo polje, gehört haben. Mit ihr begann, was 1999 vorläufig endete – der beständige Kampf um ein Stück Land, das wie kaum ein anderes in Europa zum Mythos hochstilisiert worden ist. Am Veitstag, dem 28. Juni 1389, erlitt der serbische Fürst Lazar auf ebendiesem Amselfeld, dem heutigen Kosovo, eine Niederlage gegen das Heer des türkischen Sultans Murad I.; in Lazars Heer fanden sich übrigens auch Albaner, Ungarn, Kroaten und Bulgaren.
Die Niederlage traf die Serben darum so hart, weil das Kosovo im 14. Jahrhundert der weltliche und religiöse Mittelpunkt des serbischen Reichs war, Kornkammer, Weideland und Weingebiet, reich an Bodenschätzen. Prizren war Hauptstadt des serbischen Großreichs, in Peć residierte der Patriarch. Mit Lazars Niederlage endete darum nicht nur eine Schlacht, sondern der gesamte serbische Feudalstaat. Das Ende einer Ära war besiegelt.
Die serbische Mythologie funktionierte die Niederlage denn auch schnell in einen Sieg um, genauer gesagt zu einer Verheißung des Sieges. Lazar sei für das christliche Abendland gefallen, den kulturellen Kampf hingegen habe er gewonnen, den Kampf um den Glauben und die christlichen Ideale. Der Tag werde kommen, da auf Niederlage und Tod Sieg und Auferstehung folgen würden – und dauere es Jahrhunderte!
Ebendiese Verheißung hat Milošević 1989 heraufbeschworen, als sich die Schlacht auf dem Amselfeld zum sechshundertsten Male jährte. Getrübt wurde seine flammende Vision nur durch den Umstand, dass im Kosovo zu dieser Zeit über neunzig Prozent Albaner und die restlichen Serben sozusagen in der Diaspora lebten.
Aber der Reihe nach.
Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts findet sich das Kosovo endgültig unter osmanischer Herrschaft wieder. Gut fünfzig Jahre später umfasst die osmanische Herrschaft auch sämtliche albanischen Gebiete. Hatten die Albaner zur Zeit des Großserbischen Reichs keine bedeutende historische Rolle gespielt und vorwiegend in den Bergen gelebt, während die Serben die Hochebenen bewirtschafteten, konvertierten die meisten Albaner nun zum Islam und arbeiteten auf den osmanischen Feudalgütern im Kosovo. Sie begannen die Region zu besiedeln.
1690 verzeichnet die Geschichte die »Große Wanderung« der Serben aus dem Kosovo nach Ungarn, was genauer gesagt einem Exodus von mehr als dreißigtausend serbischen Familien gleichkommt. Damit haben die Serben das Kosovo endgültig verloren.
Anfang des neunzehnten Jahrhunderts erheben sich die Serben gegen die Osmanen. Es kommt zu Aufständen. 1830 wird das Fürstentum Serbien ausgerufen, ein halbes Jahrhundert später formiert sich die »Liga von Prizren«, die albanische Nationalbewegung, im Kosovo.
1912 bricht der erste Balkankrieg aus. Die Allianz aus Bulgaren, Serben, Griechen und Montenegrinern vertreibt die Osmanen endgültig vom Balkan. Die Serben erobern das Kosovo »zurück« und töten die Albaner zu Tausenden. Wenige Jahre später wird das Kosovo Teil des Königreichs der Serben, Kroaten und Slowenen, kurz SHS, aber die Kämpfe nehmen kein Ende. Bis in die zwanziger Jahre liefern sich serbische Cetniks und albanische Kacaks blutige Gefechte. 1929 wird aus SHS das Königreich Jugoslawien, bis Hitler 1941 dort einfällt und das jugoslawische Territorium zwischen Italienern und Deutschen aufteilt. Damit entsteht unter den Besatzungsmächten ein »Großalbanien« unter Einschluss des Kosovo.
Nach dem zweiten Weltkrieg schafft Tito die jugoslawische Monarchie zugunsten einer sozialistischen Föderation ab. Das Gebilde aus sechs Teilrepubliken und zwei autonomen Provinzen erweist sich als politisch stabil, das Kosovo kommt zeitweise zur Ruhe – 1966 wird sogar der serbische Innenminister wegen Repressalien gegen die Kosovo-Albaner abgesetzt. Acht Jahre später schließlich werden dem Kosovo umfassende Selbstbestimmungsrechte eingeräumt.
Tito stirbt 1980. Sechs Jahre danach gelangt ein Mann an die Macht, der bis dahin ein gehorsamer kommunistischer Apparatschik gewesen war, ein eher
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