Lautlos
versucht zu verhindern. Nie aber hätte sich die IRA zu Aktionen hinreißen lassen, die den sinnlosen Tod Hunderter oder Tausender Menschen zur Folge gehabt hätten. Es verlief eine unsichtbare Grenze im Selbstverständnis des Nachkriegsterrorismus, die viel mit der Psychologie der Akteure und ihren Zielen zu tun hatte. Sie zu überschreiten, hätte die Ächtung der Szene nach sich gezogen, die noch in den achtziger Jahren auf der Klaviatur der öffentlichen Meinung klimperte und dabei ganz beachtliche Resultate erzielte.
Lange Zeit waren die Gruppierungen bemüht gewesen, die Waage zwischen akzeptabler Gewalt und Gewaltfreiheit zu halten. Akzeptabel hieß in diesem Zusammenhang natürlich, aus der Sicht des jeweiligen Betrachters. Dennoch hatten Organisationen wie die RAF oder die Roten Brigaden ihr Tun grundsätzlich auf eine verquere, seltsam hilflose Moral gebaut. Der Linksterrorist Michael Baumann missbilligte Ende der Siebziger die Entführung einer Lufthansa-Maschine durch seine Gesinnungsgenossen, weil er fand, die Revolutionäre Front dürfe sich nur auf schuldige Personen konzentrieren, und das Hineinziehen Unschuldiger sei unethisch. Im freien Fall dieser Argumentation bewegte sich auch Mario Moretti, Kopf und Planer der Roten Brigaden, als er sich 1984 vor Gericht für die Entführung und Ermordung von Aldo Moro zu verantworten hatte. Man habe nicht den Menschen Moro entführt, erklärte er den Ausschüssen, sondern seine Funktion. Nicht Menschen veränderten die politische Landschaft, sondern Symbole und symbolische Werte. Nie hätten die Roten Brigaden Leid über Menschen bringen wollen.
Lässt man die Ethik beiseite, offenbaren sich ziemlich handfeste Gründe für die Eingrenzung des Schreckens. In letzter Konsequenz ging es darum, Anhänger zu gewinnen, die keine Terroristen waren. Man erzwang die Bereitschaft zuzuhören, um sie dann sinnvoll zu nutzen, Nachdenklichkeit und Sympathie zu erzeugen und seine Lobby zu vergrößern. Die Aktivisten der frühen Jahre waren sich darüber im Klaren, wie schnell man gewonnene Anhänger wieder verschrecken konnte, und die Hemmschwelle in den Siebzigern und Achtzigern lag ganz woanders als heute.
Hin und wieder war diese alte Form des Terrorismus sogar erfolgreich. Im Buch wird die Verleihung des Friedensnobelpreises an Jassir Arafat erwähnt. Er ist vielleicht das beste Symbol für die Kunst, gezielten Terror in Politik umzuwandeln (was sicherlich keine Entschuldigung für jedweden Akt der Gewalt ist). Gerade die PLO hatte sehr geschickt mit den Gefühlen der Menschen jongliert. Sie hatte intelligent und gezielt operiert. Sie hatte einer breiten Weltöffentlichkeit Verständnis dafür abgerungen, dass sie so und nicht anders handeln musste. Nicht nur mit dem legendären Handschlag zwischen Arafat und Rabin, abgesegnet von Clinton als salomonischer Instanz, war der Weg des Terrorismus in Facetten salonfähig geworden – die britische Königin Elisabeth II. empfing Nelson Mandela als legitimen Regierungschef seines Landes genau ein Jahrzehnt, nachdem Maggie Thatcher gesagt hatte: »Jeder, der glaubt, dass der African National Congress irgendwann einmal die Regierung in Südafrika übernehmen wird, lebt in einem Wolkenkuckucksheim.«
Die PLO ist insofern interessant für das Verständnis des Terrorismus jener Jahre, weil sie den klassischen Weg der Zielerreichung des Terrorismus dokumentiert: Aufmerksamkeit schaffen, Bestätigung und Anerkennung erlangen, Autorität gewinnen, die Regierungsgewalt übernehmen. Und – nicht zu vergessen – sich beizeiten von der Vergangenheit distanzieren.
Vor diesem Hintergrund wird verständlich, warum der Tokioter Giftgasanschlag eine solche Welle der Erschütterung auslöste. Niemand war auf eine solche Entwicklung vorbereitet gewesen. Nur wenige Wochen später starben beim Sprengstoffanschlag auf das Bundesverwaltungsgebäude in Oklahoma City einhundertzwanzig Menschen. Zwei Jahre zuvor hatte bereits der Anschlag auf das World Trade Center in New York City für Furore gesorgt. Wie es aussah, war der internationale Terrorismus in eine Phase erhöhter Gewalttätigkeit und gesteigerten Blutvergießens eingetreten, die auf diffusen religiösen und rassistischen Maximen gründete. Gerade der religiöse, aber auch der staatlich geförderte Terrorismus totalitärer Regimes macht uns heute Angst, weil es diesen Terroristen egal ist, wie viele Menschen sie töten – beziehungsweise je mehr, desto besser. Und weil selbst
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