Lautlos
steifen Schritten nach. Wagner folgte ihm. Sie wusste, was sich in Kuhns Innerem abspielte. Er sah den Termin im Physikalischen Institut platzen. Es würde den üblichen Eklat nach sich ziehen. Memoranden würden geschrieben werden. Er würde pausenlos telefonieren und Entschuldigungen stammeln müssen. Sie würden ihn lynchen, häuten und vierteilen, erst in Köln, dann in Hamburg.
»Dr. O'Connor!«
O'Connor war stehen geblieben. Er wirkte plötzlich weit weniger betrunken als zuvor. Sein Finger wies in die Richtung, in der die Aufzüge lagen.
»Können wir jetzt gehen?«, bat Kuhn. »Sie werden die Signierstunde verpassen.«
O'Connor sah ihn an.
»Das war Paddy Clohessy«, sagte er.
»Ja, fein. Ich weiß nicht, wer das ist. Ich gebe nur zu bedenken …«
»Er ist in dem Aufzug verschwunden. Nicht zu fassen. Wir müssen hochfahren. Wo fahren die Aufzüge denn hier überall hin?«
»Nach oben«, seufzte Kuhn. »Nach unten. Wohin Sie wollen.«
O'Connor nickte befriedigt.
»Nach oben!«
Sie fügten sich in ihr Schicksal und fuhren mit dem fraglichen Lift in den ersten Stock. O'Connor streunte eine Weile zwischen den Countern herum und kam kopfschüttelnd zurück.
»Was ist unten?«, fragte er.
»Nichts. Die Straße.« Kuhn bleckte die Zähne. »Möchten Sie die Straße sehen? Man kommt von da ganz prima zu den Parkplätzen. Wirklich ganz wunderbar.«
O'Connor wirkte unentschlossen.
»Entweder«, sagte Wagner ruhig, »kommen Sie jetzt mit, oder Sie dürfen mich nicht mehr Gaby nennen. Was ist Ihnen lieber?«
Schließlich gab er auf. Sie schafften es ohne weitere Zwischenfälle zu den Taxis. Kuhn verfrachtete den Physiker auf den Vordersitz eines BMW und stieg selbst hinten ein. Wagner beugte sich zum Seitenfenster hinunter und gönnte sich einen letzten Blick in O'Connors Augen.
Er sah zurück. Ebenso gut hätte er ihr eine Einladung schicken können, sich unbekleidet in seinem Badezimmer einzufinden.
Die Scheibe summte herunter.
»Was heißt denn nun Kika?«, fragte er.
»Kirsten Katharina. Mir hat weder das eine noch das andere gefallen. Meinen Eltern offenbar auch nicht. Ich heiße Kika, seit ich denken kann.«
O'Connor versuchte so etwas wie eine Verbeugung. Sitzend und angeschnallt sah es ziemlich komisch aus.
»Kika«, sagte er. »Ki-Ka!«
»Bis später.« Sie klopfte zum Abschied gegen die Tür und wartete, bis der Wagen losgefahren war.
Kuhn hatte nicht einmal gelogen, als er sagte, O'Connor sei der netteste Mensch der Welt.
Er hat lediglich vergessen zu erwähnen, wie nett.
1998. 09. DEZEMBER. KOELN
Die Frau, die am frühen Abend die Passkontrolle des KölnBonn Airport durchschritt, sah der Unternehmerin Laura Firidolfi ebenso wenig ähnlich wie der Person, die Mirko in Triora getroffen hatte. Der Beamte warf einen flüchtigen Blick auf ihre Dokumente und nickte, den Blick schon auf den nächsten Ankömmling gerichtet. Die Maschine aus Turin war nicht voll gewesen. Die Abfertigung erfolgte reibungslos und ohne besondere Vorkommnisse, sah man davon ab, dass eine der gefährlichsten Frauen der Welt Kölner Boden betrat. Hätte der Beamte die Höflichkeit der Briten besessen, hätte er sich möglicherweise ein Lächeln und ein »Danke, Signora Baldi« abgerungen, aber hier war Deutschland.
Jana rückte die getönte Brille den Nasenrücken hinauf und beobachtete sich im Näherkommen in der Scheibe eines Schaukastens, als sie mit den anderen Passagieren zu den Gepäckbändern schritt. Die Frau, die ihr entgegenkam, hatte graues, straff nach hinten gebürstetes Haar, trug einen etwas aus der Mode gekommenen Mantel und wollene Handschuhe. Die Umhängetasche war aus Leder und sicher nicht billig gewesen, mittlerweile aber ebenso abgewetzt wie ihre Besitzerin. In wenigen Minuten würde sie ihren Koffer hinter sich herzerren, ohne dass sich ein aufmerksamer Mann fände, um ihr die Last abzunehmen. In ihrer Erscheinung gehörte die frühzeitig ergraute Frau mit dem arthritischen Gang zu jener Kategorie von Menschen, die sich buchstäblich durch nichts kenntlich machen, weder durch gutes noch durch schlechtes Aussehen, und die man aussortiert, bevor man sie richtig wahrgenommen hat.
Sie wartete in der Halle der Gepäckausgabe und sah mit leblosem Blick die Werbung auf den Transportbändern an. Mittlerweile hatten es findige Konstrukteure geschafft, die Kunststoffschuppen der Bänder für Displays zu nutzen, die der ständigen Beanspruchung durch die drauf gepfefferten Koffer und Taschen
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