Lautlos
gelassen. Er war sein eigenes und das Produkt anderer geworden, eine Fieberphantasie der nationalen Intelligenz Serbiens, ein Homunkulus mit der einzigen Aufgabe, ein für alle Mal die Wahrheit zu verkünden, die serbische Wahrheit, die wahrer ist als jede andere Wahrheit, fußend auf der Monstrosität historischer Ansprüche, aus denen er Recht und Rechtmäßigkeit ableitete, das Gesetz schlechthin.
Als Folge vermochte der Diktator die Gesetze nicht mehr auszulegen, die er gemacht hatte. Er war das Gesetz! Milošević würde sein Schicksal ereilen, weil er an seiner eigenen Verbindlichkeit zugrunde ging. Im grellen Licht der weltpolitischen Bühne drohte ihm der Schurkentod, weil die Guten Kenntnis von ihm genommen hatten. Das war sein größtes Problem, und er hatte es zu keiner Zeit erkannt oder danach gehandelt. Jahre würde es dauern, in denen er ungeheuren Schaden anrichten und seine Feinde dutzendfach vernichtend schlagen konnte, aber nichts würde ihn schützen gegen den Jago oder Brutus mit dem nichts sagenden Gesicht, lächelnd, halb verdeckt vom winkenden Arm des großen Nationalisten, Verrat planend.
Viele waren wie der serbische Diktator, wie Kennedy und Nixon, wie Jelzin, Saddam Hussein, wie die Cäsaren. Gleich welcher Ideologie, entging ihnen ihre Mutation zur Handpuppe, in die andere schlüpften. Sie leisteten sich grandiose Schlachten, die keiner wirklich gewinnen konnte, also führten sie einen zweiten, verdeckten Krieg, in dem ein Mirko oder ein Carlos, ein Abu Nidal oder eine Jana aktiv wurden, ließen andere Hände ihr Schicksal in die Hand nehmen. Zu jeder Zeit waren sie ihrer selbst so sicher, dass sie keinen Zweifel an der Ausübung totaler Kontrolle hegten. Auf dem Scheitelpunkt ihrer Macht schob ihnen dann jemand den Dolch zwischen die Rippen, und die Inszenierung endete. Im Puppenspiel fiel der Vorhang. Die Figuren waren hinreichend demoliert, die Spieler zogen sich zurück und warteten auf ihren nächsten Einsatz. Die Welt der Puppen wandelte sich. Die der Spieler blieb gleich.
Mirko steuerte den Wagen auf die Böschung unterhalb des Klosters und stieg aus. Der Tag war diesig und kühl. Er zog den Reißverschluss seiner Jacke hoch. Der Alte erwartete ihn vor den Stufen, die zum Portal hinaufführten. Heute hatte er sich nicht der Mühe unterzogen, seine Sicherheitsleute im Hintergrund zu halten. Vielleicht wollte er Mirko mit seiner kleinen Demonstration beeindrucken. Mehrere Männer in Kampfanzügen waren auf dem Gelände verteilt. Sie hielten respektvoll Distanz. Mirko schätzte, dass sie zu einer der zahlreichen Milizen gehörten.
»Mein lieber Freund«, sagte der Alte herzlich. »Ihre Nachricht war ein duftender Korken! Nun lassen Sie mich den Wein trinken. Wie steht es mit unserem kleinen Unterfangen? Was sagt unsere geschätzte Freundin, wie sie die Sache angehen will?«
Mirko schickte einen Blick zu den Uniformierten.
»Hören diese Leute mit?«
»Kein Problem. Aber Sie haben natürlich Recht. Gehen wir ein Stück.«
Sie setzten sich in Bewegung. Vom Kloster führte ein Pfad bis zur Straße und setzte sich auf der anderen Seite fort. Die Ränder waren von niedrigem Buschwerk überwuchert. Wahrscheinlich endete der Weg nach wenigen hundert Metern in einem Feld, aber von hier sah es aus, als verliere er sich im milchigen Dunst der Berge weit hinten.
Drei der Männer folgten ihnen in einigem Abstand.
Nachdem sie ein paar Schritte schweigend nebeneinander hergegangen waren, sagte Mirko dem Alten, was Jana verlangte.
Sein Auftraggeber blieb stehen und starrte ihn an.
»Sie will was?«
»Sie haben richtig gehört.«
Der Alte schüttelte den Kopf und sah hinüber zum Kloster, als habe er die tröstende Realität dort zurückgelassen. »Wie soll das funktionieren? Hat Ihre Freundin den Verstand verloren? Das ist Unfug, Mirko. Fünfundzwanzig Millionen teurer Unfug!«
»Nein, ist es nicht«, erwiderte Mirko. »Um Sie zu beruhigen, ich war anfangs auch irritiert. Aber sie hat es mir erklärt. Es funktioniert.«
»Das kann ich kaum glauben!«
»Wenn Sie es ihr nicht glauben, glauben Sie es mir. Es klingt phantastischer, als es ist. Was einen so frappiert, sind die Dimensionen. Würde sich alles en miniature abspielen, wäre es die einfachste Sache von der Welt.«
»Ja, aber das ist ja nun mal nicht der Fall. Meine Güte, ich bin einiges gewohnt, aber … Gibt es keine Alternative?«
»Doch«, nickte Mirko. »Boden-Boden-Raketen. Vielleicht. Das Problem ist nur, dass wir gar
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