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Lautlos

Lautlos

Titel: Lautlos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schätzing
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Nato hat keine Hoheit über Jugoslawien. Als Polizei kann sie da nicht wirksam werden.«
    »Sie machen's aber ganz schön kompliziert.« Der Vorstand förderte ein Kistchen Zigarillos zutage. »Gestatten Sie? Irgendjemand sonst? Was im Kosovo geschieht, ist blanker Terrorismus. Dagegen wollen Sie nicht vorgehen?«
    »Doch. Wenn es Terrorismus ist, dann wäre jeder Beteiligte nach jugoslawischer Rechtsauffassung ein Straftäter. Dann müsste er verurteilt werden. Von jugoslawischen Richtern, meine ich. Sehen Sie, hier scheint es einen Konflikt zu geben zwischen rechtlicher und moralischer Legalität. Was mich beunruhigt, ist nicht so sehr, wenn jemand aus moralischen Gründen den Einsatz von Gewalt legitimiert, sondern dass er sich gezwungen sieht, das geltende Recht dafür zu umgehen. Das lässt nur zwei Schlüsse zu. Entweder er ist selbst im Unrecht, oder das geltende Recht ist im Unrecht. Glauben Sie, die Nato hat darüber nachgedacht, bevor sie tat, was möglicherweise richtig ist?«
    »Na ja. Wenn Sie es so sehen …«
    »Verzeihen Sie.« O'Connor hob die Hände. »Ich wurde gefragt. Ich bin nur ein Physiker, der Bücher schreibt, kein Politiker. Mir teilt sich lediglich mit, dass keiner die Sache Krieg nennen mag, und da frage ich mich halt, wenn die Nato nicht so richtig weiß, was es ist, ob sie dann vielleicht auch nicht so richtig weiß, was sie tut.«
    »Heißt das nun, Sie sind dafür oder dagegen?«, sagte die Schauspielerin.
    Der Vorstand verdrehte die Augen und trank.
    »Ich weiß es eben nicht«, sagte O'Connor, »weil ich immer noch nicht weiß, was es ist.«
    »Ein Akt der Gerechtigkeit!«, sagte der IHK-Vertreter mit Entschiedenheit. »Das ist es! Die Entenbrust klingt übrigens ganz ausgezeichnet.«
    »Hm.«
    »Finden Sie nicht?«
    »Doch, ausgezeichnet.« O'Connor schürzte die Lippen. »Wissen Sie, ich finde es gerecht, Übel zu beseitigen. Wie gesagt, ich bin blutiger Laie, und von Kriegsführung – pardon, Interventionismus! – verstehe ich nun gar nichts. Meine innere Logik sagt mir, dass es ergo ungerecht ist, Übel zu verursachen. Also kann ein Akt nur dann gerecht sein, wenn er Übel beseitigt, ohne welche zu verursachen, richtig?«
    Die Dezernentin lächelte und schwieg.
    »Ich weiß ja jetzt, es ist nur ein Akt, über den wir reden, gottlob kein Krieg«, fuhr O'Connor gut gelaunt fort. »Und natürlich wusste die Nato ganz genau, dass die entstehenden Probleme die zu beseitigenden nie dominieren würden. Ebenso wie sie wusste, dass sie den Akt über Nacht gewinnen würde, weil sie so kompetent vorgeplant hatte. So gesehen bin ich absolut für den Akt. Cheers, Herrschaften.«
    »Vielleicht sollten wir …«, begann Wagner.
    »Natürlich ist es Krieg«, bemerkte der Buchhändler unwirsch. »Alles andere wäre ja Spiegelfechterei. Wer so argumentiert, kann überhaupt nie handeln, frei nach dem Motto: Bring deine Frau ruhig um, ich tue nichts dagegen, solange du es in deiner Wohnung machst. Es ist Krieg, zugegeben, aber es ist ein Krieg der Werte. Was meinen Sie, ist die Seezunge gut?«
    »Bestimmt.«
    »Augenblick.« O'Connor schüttelte den Kopf. »Wir verteidigen also Werte?«
    »Genau.«
    »Welche?«
    »Die Seezunge mit Reis. Quatsch … ähm … na ja, das Leben … das Recht zu leben … das menschliche Leben hat einen Wert. Wenn dieser Wert attackiert wird …«
    »Ich bin nicht Ihrer Meinung«, sagte O'Connor. »Mir ist diese Ideologie der Werte suspekt, wenn ich das sagen darf. Werte sind Bestandsaufnahmen der jeweiligen Kultur, die diese Werte postuliert. Im Westen haben wir westliche Werte, den Western way of life. Unsere Auffassung davon, was Werte sind, müssen wir nicht verteidigen, weil niemand sie angegriffen hat. Ebenso wenig können wir sie einem anderen Land aufzwingen, wenn es diese Werte nicht teilen mag. Glauben Sie im Ernst, die Kosovo-Albaner verkörpern unsere Wertvorstellungen?«
    »Natürlich nicht!«
    »Welche Werte wollen Sie dann verteidigen?«
    »Den Wert des Lebens. Ist das etwa nichts?«
    »Augenblick! Sie meinen Menschenrechte. Unveräußerliche Menschenrechte. Werte als solche sind abstrakt, also verteidigen wir schlussendlich wieder Menschen.«
    »Wortklauberei. Das ist doch dasselbe!«
    »Verzeihen Sie einem alten Schwätzer. Ich bin sicher, dass auch Milošević ganz und gar der Meinung ist, Werte zu verteidigen. Hitler war das auch. Saddam Hussein ist es. Die Hisbollah meint, Werte zu verteidigen, die IRA, die ETA, die RAF waren der Ansicht. Werte

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