Lautlos
dahinter erstreckten sich Wiesen mit rotem Klatschmohn bis zum Rand eines Wäldchens, durchbrochen vom üppigen Gelb wogender Kornfelder. Ein Zirpen lag in der Luft, irgendwo bellte ein Hund, und drei bäuerlich gekleidete Gestalten standen ein Stück weiter weg beisammen und rauchten altmodisch geschwungene Pfeifen. Bienen, dick wie Daumen, schwirrten kapriolend herum und setzten sich sekundenlang auf ihre Hände, mit denen sie sich auf dem Fenstersims abstützte, um besser hinaussehen zu können. Jana wusste, dass sie nicht zustechen würden. Es war mehr ein flüchtiges Willkommen, und es machte Sinn, denn was sich ihren Augen dort im frühen Sonnenlicht darbot, war nichts anderes als der Blick aus dem Kinderzimmer der Sonja Cośic bei ihren Großeltern in der Krajina.
Für ein kleines Mädchen sind Bienen etwas größer als für eine ausgewachsene Frau. So oft sie als Kind dort gewesen war, so selten hatte sie sich später bei ihren Großeltern blicken lassen. Vielleicht darum reduzierte ihr Auffassungsvermögen die Bienen jetzt nicht auf die ihnen zustehende Größe. Die zurücklaufende Zeit hatte sie wachsen lassen, ebenso wie sie jene alten Männer mit ihren Pfeifen leben ließ, die umgekommen, begraben und vergessen waren. Einer von ihnen winkte herüber und rief, na, Sonja, bist du wieder da?, und es schien tatsächlich so. Sie wollte winken und rufen, aber etwas hielt sie zurück, und sie sah weiter einfach nur hinaus.
War sie wirklich dort? Sie träumte, so viel war klar, aber hatte sie der Traum an den richtigen Platz geführt? Die Landschaft mutete eine Spur zu idyllisch an, alles in dieser Welt war künstlich überhöht, nuanciert zwar, aber unübersehbar. Und doch zeigte sich ihr die reine Wahrheit der Kinder, die in den ersten Jahren ihres Lebens nicht merken, dass sie wachsen, sondern staunend glauben, die Welt um sie herum schrumpft.
In das Glücksgefühl, das von ihr Besitz ergriffen hatte im Moment, da sie die Straße erblickt hatte, mischte sich Unsicherheit. Sie sah an sich herunter. Ihr Körper war der einer Erwachsenen, aber eindeutig befand sie sich an einem Ort ihrer Kindheit.
Einer der alten Männer löste sich aus der Gruppe und trat bis dicht unter das Fenster. Weiße Bartstoppeln überzogen Kinn und Wangen. Sie erkannte ihren Großvater.
Bin ich ein Kind?, fragte Jana. Ihre Stimme klang dünn und ängstlich.
Natürlich, nickte Großvater.
Aber ich sehe nicht aus wie ein Kind, sagte sie. Kann ich trotzdem bleiben, wenn ich verspreche, niemanden mehr zu töten?
Die Wahrheit der Kinder ist die Veränderung, Kleines, sagte Großvater sanft und zog an seiner Pfeife, und darum ist es eine lebendige und sich entwickelnde Wahrheit. Ein Kontinuum des Möglichen, eine metaphysische Manifestation, in der nicht zählt, was fehlt, wie bei uns Erwachsenen, sondern was ist. Und das, was ist, umfasst in deinen Augen eben weit mehr als die paar Dinge, die ein Mensch in meinem Alter sieht. Glaub nicht das Märchen von der Weisheit, Alter macht blind. Merke dir, die Welt ist nicht definierbar, sie ist interpretierbar. Solange du ein Teil der Realität bist, ist die Realität ein Teil von dir, und dann haben Pferde plötzlich Flügel, und sie haben wirklich welche. Aber du musst es wollen, und du musst es auch nicht wollen und die Kontrolle darüber behalten. Dein Wille ist der einzige Grund, warum du hier bist, Sonja. Wenn du anderen gestattest, für dich zu wollen, solltest du besser zurücktreten von diesem Fenster, weil du dir dann selbst nicht mehr trauen kannst. Es gibt keine Wahrheit als dich, denn die Welt existiert ausschließlich in deinem Kopf, und du wirst nie beweisen können, dass es anders ist.
Sie schaute auf den alten Mann herunter, der unzweifelhaft ein Riese war, und dachte an Kirschen. Je zwei zusammengehalten von den oberen Enden der Stängel. Ihr Großvater lächelte. Sollte sie aufwachen? Oder hinausgehen in ihre Kindheit und nach Wahrheit suchen, nach der Wahrheit der Kinder? Aber sie hatte offenbar zu lange gezögert, denn plötzlich war das Fenster nur noch ein altes Schwarzweißfoto, und Jana saß auf dem Bettrand und beobachtete enttäuscht, wie aus dem Blau des Himmels ein bleiernes Grau wurde und die Vision verging. Die Figuren mit den Pfeifen verblassten. Dann mischte sich ein neuer Ton mit in das Bild, ein strahlendes Rot, und das Foto begann sich an den Seiten schwarz aufzurollen und zu verkohlen.
Großvater!, rief sie.
Das Geräusch laufender Füße drang an ihr
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