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Lautlos

Lautlos

Titel: Lautlos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schätzing
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so was musst du dir wirklich nicht bieten lassen.«
    Wagner starrte ihn an. Sie versuchte, wütend zu sein, aber es war mehr die Fassungslosigkeit, die sie auf die Stelle bannte.
    Fassungslosigkeit darüber, dass er Recht hatte. Dummerweise.
    Und jetzt schmiss er sie raus.
    »Drehbuch! Requisite!«, rief O'Connor. »Noch etwas Zornesröte für Frau Wagner!«
    »Du Idiot!«, fuhr sie ihn an. »Du meinst also, bloß weil ich was mit dir trinke, muss ich auch mit dir in die Kiste?«
    »Nein.« O'Connor schüttelte wild den Kopf. »Würde ich nie erwarten. Nicht mal, wenn du mit mir nach Shannonbridge fliegst.«
    »Warum dann?«
    Er setzte sich auf und sah sie an.
    »Weil du es selbst am meisten willst und nicht tust. Darum.«
    »Ach nee. Was macht dich da so sicher?«
    »Du. Den ganzen Tag schon.« Er grinste. »Worauf sollen wir warten, Kika? Meinst du, das bringt irgendwas außer Kopfweh? Vielleicht will ich ja nicht. Also, sei sauer und fahr nach Hause. Noch einfacher kann ich's dir nicht machen. Oder lass uns endlich diese verdammte Flasche leer trinken.«
    Wagner öffnete den Mund, um ihn mit ein paar wohlgesetzten Worten runterzuputzen.
    Stattdessen trat sie neben ihn und verharrte.
    Mistkerl, dachte sie. Wenn wir schon spielen, dann nach meinen Regeln.
    Langsam beugte sie sich zu O'Connor herab und begann wie nebenbei, seine Krawatte aufzuknoten und weitere Knöpfe seines Hemdes zu öffnen. Ihre Gesichter waren nur Zentimeter voneinander entfernt. Er hob den Blick zu ihr, machte aber keine Anstalten, sie zu küssen.
    »Hattest du mal Probleme wegen der IRA?«, fragte sie unvermittelt.
    O'Connor riss die Augen auf.
    »Wie kommst du denn auf so was?«
    »Man hört Verschiedenes.« Sie richtete sich wieder auf, warf seine Krawatte auf den Boden und schlenderte hinüber zu der kleinen Sitzgruppe neben dem Sekretär am Fenster. Dort ließ sie sich seitlich in einen der Sessel fallen und streckte die Beine in die Luft. Lange, endlos lange Beine, dachte sie. Warum will der Kerl jetzt nicht mit mir ins Bett?
    Ihre Pumps polterten zu Boden.
    »Ich finde, es passt zu dir, Liam«, sagte sie. »Du bist dermaßen bemüht, den Flegel raushängen zu lassen, dass ich mir lebhaft vorstellen kann, wie du an der Uni schon aus Prinzip gegen alles Mögliche gestänkert hast.«
    Er stützte sich auf einen Ellbogen und hob die linke Braue. Ihren Beinen schenkte er keinen Blick.
    »Ich finde immer noch, dass die Engländer Nordirland zurückgeben sollten«, sagte er. »Aber inzwischen weiß ich, dass die Engländer gar nicht das Problem sind. Die Iren sind das Problem. Die IRA stellt keine Lösung dar. Früher sah ich das etwas anders.«
    »Weswegen haben sie Paddy rausgeworfen?«
    »Genau deswegen.«
    »Und dich?«
    »Beinahe deswegen.«
    Wagner reckte die Arme, legte den Kopf in den Nacken und sah an die Decke. Eigentlich fühlte sie sich ganz behaglich.
    »Du bist ein Blender, Liam. Du bist der lauteste Kläffer, der mir je untergekommen ist. Wahrscheinlich haben sie dich darum nicht von der Uni geworfen, weil du keinen Mumm hattest, ihnen einen echten Grund zu liefern. Du hast ein bisschen provoziert und ein vorlautes Maul riskiert, und als es ernst wurde, bist du auf ihre Linie zurückgeschwenkt. Stimmt's, Liam? Du hast einfach nur eine große Klappe, aber wenn es um die Konsequenzen geht, dann kneifst du.«
    O'Connor erhob sich und kam über den weichen Teppichboden zu ihr herüber. Seine Schritte waren lautlos. Sie drehte den Kopf in seine Richtung und sah seine Augen leuchten. Hitzewellen schienen von ihm auszugehen, oder war das nur der Alkohol?
    Er ging in die Hocke und sah sie an. Seine Hände glitten durch ihr Haar. Ein Lächeln umspielte seine Mundwinkel.
    »Ich bin jedenfalls froh, dass du so überaus anständig und vernünftig bist«, sagte er sanft. »Da können wir wenigstens Freunde bleiben.«
    »Ja, das ist prima.«
    »Deine Eltern werden sich schon große Sorgen machen.«
    »Bestimmt!«
    »Soll ich dich nach unten bringen?«
    »Sei so gut.«
    Eine Weile sagte niemand etwas. Sie sahen sich einfach nur an.
    »Ist noch was in der Flasche?«, flüsterte sie.
    »Noch ganz viel.«
    »Was meinst du, wie lange es reicht?«
    »Ich schätze, bis zum Frühstück.«
    Sie lachte leise. Dann griff sie in seinen silbernen Schopf und zog ihn zu sich heran.
1999.29. JANUAR. MOSKAU
    Wenige Tage nachdem ein sehr großer und schwerer Gegenstand die Grenze der Ukraine nach Polen passiert hatte und von dort nach Deutschland geleitet

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