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Lautstärke beweist gar nichts - respektlose Wahrheiten

Lautstärke beweist gar nichts - respektlose Wahrheiten

Titel: Lautstärke beweist gar nichts - respektlose Wahrheiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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Geistlichen zu Gast«, sagteer, »es werden auch andere Gäste da sein – Geistliche und deren Ehefrauen –, und du musst dich bemühen, diesen Leuten mit deinem Gang und deinen Worten zu zeigen, dass du aus einem frommen Haushalt stammst. Denk immer daran.« Die Ermahnung trug Früchte. Beim ersten Frühstück, das sie im Haus des Chicagoer Geistlichen einnahmen, hörte er seinen kleinen Sohn in äußerst bescheidenem und höchst ehrfürchtigem Ton zu der ihm gegenübersitzenden Dame sagen: »Herrgott noch mal, würden Sie mir bitte die Butter reichen?«
    Ich wünschte unwillkürlich, man hätte Adam und Eva aufgeschoben und Martin Luther und die Jungfrau von Orleans an ihre Stelle gesetzt – dieses prächtige Paar mit Temperament nicht aus Butter, sondern aus Asbest. Weder durch zuckersüße Überredung noch durch Höllenfeuer hätte Satan sie verleiten können, den Apfel zu essen.
Das Kriegsgebet
    Es war eine Zeit großer und mitreißender Erregung. Das Land stand unter Waffen, es war Krieg, in jeder Brust brannte das heilige Feuer des Patriotismus; die Trommeln wurden gerührt, Militärkapellen spielten, Spielzeugpistolen knallten, gebündelte Schwärmer zischten und knatterten; ringsumher und weithin über die in der Ferne verschwimmendeFläche von Dächern und Balkonen leuchtete in der Sonne ein flatterndes Gewirr von Fahnen; täglich marschierten junge Freiwillige die breite Allee hinab, fröhlich und stattlich anzusehen in der neuen Uniform, und wenn sie vorübermarschierten, jubelten ihnen die stolzen Väter und Mütter und Schwestern und Liebchen mit vor Glück und Rührung bewegter Stimme zu; jeden Abend lauschten dichtgedrängte Massen keuchend den patriotischen Reden, die den tiefsten Grund ihrer Herzen aufwühlten, und unterbrachen sie in kürzesten Abständen mit Beifallsstürmen, während ihnen die Tränen über die Wangen rannen; in den Kirchen predigten die Geistlichen Aufopferung für Flagge und Vaterland, riefen den Gott der Schlachten an und erflehten seinen Beistand für unsere gute Sache mit Strömen glühender Beredsamkeit, die jeden Zuhörer erschütterten. Es war wirklich eine freudige und gnadenreiche Zeit, und dem halben Dutzend unbesonnener Geister, die es wagten, den Krieg zu missbilligen und seine Berechtigung in Zweifel zu ziehen, wurde umgehend ein so strenger und heftiger Verweis zuteil, dass sie sich um ihrer persönlichen Sicherheit willen schleunigst verdrückten und diesbezüglich keinen Anstoß mehr erregten.
    Der Sonntagmorgen kam – am nächsten Tag sollten die Bataillone zur Front abrücken; die Kirche war voll; die Freiwilligen waren anwesend, ihre jungen Gesichter strahlend von kriegerischen Träumen – Visionen eines ungestümen Vormarsches, des Sammelns vor dem Gefecht, des stürmischenAngriffs, der blitzenden Säbel, der Flucht des Feindes, des Getümmels in verhüllendem Rauch, der hitzigen Verfolgung, der Kapitulation des Feindes! – dann die Heimkehr aus dem Kriege als sonnengebräunte Helden, jubelnd empfangen, glühend verehrt, eingetaucht in ein goldenes Meer von Ruhm! Bei den Freiwilligen saßen die Angehörigen, stolz, glücklich und beneidet von den Nachbarn und Freunden, die keine Söhne und Brüder besaßen, um sie auf das Feld der Ehre zu entsenden, wo sie für die Flagge den Sieg erkämpfen oder, wenn ihnen das nicht vergönnt sein sollte, den edelsten aller edlen Tode erleiden würden. Der Gottesdienst nahm seinen Fortgang; ein Kriegskapitel aus dem Alten Testament wurde verlesen; man sprach das erste Gebet; ihm folgte ein Aufbrausen der Orgel, von dem das Bauwerk erbebte, und einem einzigen Impuls folgend, standen alle auf, mit brennenden Augen und klopfendem Herzen, und brachen in die schreckliche Anrufung aus:

    »Gott der Allfurchtbare, der Du befiehlst,
    Donner Dein Schlachtruf und Blitz Dein Schwert!«

    Dann folgte das »lange« Gebet. Niemand konnte sich erinnern, jemals so leidenschaftliche Bitten, eine so ergreifende und schöne Sprache gehört zu haben. Der Hauptinhalt der Fürbitte war, unser aller barmherziger und gnädiger Vater möge unsere prächtigen jungen Soldaten behüten und ihnen bei ihrem patriotischen Werk Hilfe, Trost und Mut angedeihen lassen; er möge sie segnen und beschirmenam Tage der Schlacht und in der Stunde der Gefahr, sie in seiner allmächtigen Hand halten und sie stark, zuversichtlich und unbesiegbar machen bei dem blutigen Sturm; er möge ihnen helfen, den Feind zu vernichten, und ihnen, ihrer Flagge und ihrem

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