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Lautstärke beweist gar nichts - respektlose Wahrheiten

Lautstärke beweist gar nichts - respektlose Wahrheiten

Titel: Lautstärke beweist gar nichts - respektlose Wahrheiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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Trauerspiele, die nicht zu unterscheiden waren von – von denen eines anderen; doch das tun wir jetzt nicht mehr. Vor einem Dreivierteljahrhundert war das Muster unserer Prosa schwülstig und verschwommen; irgendeine Autorität gab ihm eine neue Richtung zu Straffheit und Schlichtheit, und alles passte sich widerspruchslos an. Der historische Roman kommt unvermittelt auf und durchrast das Land. Jedermann schreibt einen, und die Nation ist begeistert. Wir hatten schon vorher historische Romane, aber niemand las sie, und wir anderen richteten uns danach – ohne darüber nachzudenken. Jetzt passen wir uns der neuen Richtung an, weil es ein weiterer Fall von Jedermann ist.
    Die äußeren Einflüsse stürmen ständig auf uns ein, und wir gehorchen ständig ihren Befehlen und nehmen ihre Urteile hin. Familie Smith gefällt das neue Schauspiel; Familie Jones sieht es sich an, und sie kopiert das Urteil der Familie Smith. Moral, Religion, Politik, sie alle verdanken ihre Anhängerschaft fast ausschließlich den Einflüssen und Stimmungen der Umgebung, nicht einer ernsthaften Prüfung, nicht dem Denken. Der Mensch muss und wird zuallererst für seine eigene Billigung sorgen, in jedem einzelnen Augenblick und Umstand seines Lebens – selbst wenn er eine von ihm selbst gebilligte Handlung sogleich nach ihrer Ausführung bereuen müsste, um seine Selbstbilligung wiederzuerlangen ; doch allgemein gesprochen, entspringt des Menschen Selbstbilligung in den wichtigen Belangenseines Lebens der Billigung der Leute um ihn herum und nicht einer tiefschürfenden persönlichen Prüfung der Angelegenheit. Die Mohammedaner sind Mohammedaner, weil sie in dieser Sekte geboren und aufgewachsen sind, nicht weil sie es durchdacht hätten und triftige Gründe vorbringen könnten, warum sie Mohammedaner sind; wir wissen, warum die Katholiken Katholiken sind, warum die Presbyterianer Presbyterianer sind, warum die Baptisten Baptisten sind, warum die Mormonen Mormonen sind, warum die Diebe Diebe sind, warum die Monarchisten Monarchisten sind, warum die Republikaner Republikaner und die Demokraten Demokraten sind. Wir wissen, dass es eine Sache des Umganges und der Sympathie ist, nicht des Denkens und der Prüfung, und dass kaum ein Mensch auf der Welt eine Meinung zu moralischen, politischen oder religiösen Dingen besitzt, die er anders als durch seinen Umgang und seine Sympathien gewonnen hätte. Grob gesagt, gibt es nur Maisbrotüberzeugungen. Und grob gesagt, Maisbrot bedeutet Selbstbilligung. Die Selbstbilligung bezieht man hauptsächlich aus der Billigung anderer Leute. Das Ergebnis ist Anpassung. Manchmal liegt der Anpassung ein gemeines Geschäftsinteresse zugrunde – das Brot-und-Butter-Interesse –, aber ich meine, nicht in den meisten Fällen. Ich glaube, meistens erfolgt sie unbewusst und ohne Berechnung; sie entspringt dem natürlichen Verlangen des Menschen, bei seinen Gefährten gut angeschrieben zu sein und ihre anfeuernde Billigung und ihr Lob zuerringen – ein Verlangen, das gewöhnlich so stark und so zwingend ist, dass man ihm nicht wirksam widerstehen kann, sondern es befriedigen muss.
    Ein unerwartetes politisches Ereignis lässt die Maisbrotüberzeugung klar umrissen in ihren zwei Hauptspielarten zutage treten – in der Brieftaschenspielart, die auf dem blanken Eigennutz fußt, und in der zahlreicheren Spielart, der gefühlsgetragenen Spielart – bei Menschen, die es nicht ertragen können, außerhalb zu stehen; die es nicht ertragen können, in Ungnade zu fallen; die das abgewandte Gesicht und die kalte Schulter unerträglich finden; die mit den Freunden gutstehen wollen, angelächelt werden wollen, willkommen sein wollen, die köstliche Worte hören möchten: » Der ist richtig!« – vielleicht von einem Esel gesprochen, aber immerhin einem Esel hohen Ranges, einem Esel, dessen Billigung einem kleineren Esel Gold und Diamanten bedeutet und Ruhm, Ehre, Glück und Mitgliedschaft in der Herde verleiht. Um dieses Flitters willen lässt mancher Mensch seine lebenslang gehegten Grundsätze fallen und sein Gewissen gleich dazu. Wir haben ja schon erlebt, wie so etwas geschieht. In mehreren Millionen Fällen.
    Die Menschen glauben, sie dächten über große politische Fragen nach, und das tun sie auch; aber sie denken mit ihrer Partei, nicht unabhängig; sie lesen deren Literatur, aber nicht die der anderen Seite; sie gelangen zu Überzeugungen, aber die beruhen auf einer einseitigen Betrachtung der betreffenden

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